Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
schwieriges Jahr sei, ein Jahr der Entscheidung, und was wäre patriotischer als ein Geschenk an den Duce, das so eindrucksvoll die Gesinnung der Arbeiterschaft, einer ganzen Region unter Beweis stelle? Allerdings, er betrachtete nachdenklich den Tisch und schnippte mit dem Finger einige unsichtbare Brotkrümel herunter, es gebe auch anderes, weniger Erfreuliches zu berichten. Wo viel Licht sei, sei auch bekanntlich Schatten, nicht wahr? Und jedermann wisse, was sich vor ein paar Tagen in Florenz zugetragen habe. Und das nicht zum ersten Mal, nicht zum ersten Mal. Nun, der Prefetto seufzte, eine kleine Gruppe von Staatsfeinden anarchistisch-kommunistischer Prägung plane einen Anschlag auf dieses Symbol der Einheit des Vaterlandes.
Jetzt war es raus, und Piero schluckte schwer.
Das müsse natürlich unter ihnen bleiben, und der Prefetto beeilte sich zu versichern, alle beteiligten Personen seien den Behörden wohlbekannt. Meist fehlgeleitete Jugendliche. Kinder, wie er tief seufzend hinzufügte, unser eigen Fleisch und Blut. Dann sah er auf und hob den Finger: „Die Anarchie ist eine tausendköpfige Hydra!“
Und damit schien er alles gesagt zu haben. Eine Weile blieb es still. Nur seine Hand trommelte leise auf der Tischplatte.
„Die Carabinieri...“
„Die Carabinieri machen ihre Arbeit.“ Seine Stimme klang versöhnlicher. „Schau, Piero, ich möchte gar nicht wissen, wo dein Sohn ist. Wenn du sagst, du weißt es nicht, dann glaube ich dir.“ Er legte eine Hand auf seinen Arm. „Und wo wird er schon sein? Er wird da oben in den Bergen sein, in einem dieser verdammten Dörfer, in einer Hütte, in einer Höhle... Er wird frieren und hungern und sich wünschen, nach Hause zurückkehren zu können.“ Er zuckte mit den Schultern. „ Naturlamente .“
Piero antwortete nicht.
Im Grunde sei er ein braver Junge, das wisse er wohl, fehlgeleitet vielleicht, das ja, und jeder müsse schließlich für sich selbst entscheiden, was er falsch gemacht habe. Diesmal sah der Prefetto dem Wirt in die Augen, und die Jahre vor dem Krieg, ihre heftigen Auseinandersetzungen standen wieder im Raum, schienen wie ein Gespenst zurückgekehrt. Doch dann zündete er sich eine Zigarette an, eine teure Importmarke, lächelte fast verlegen und unterbreitete ihm einen Vorschlag. Es wurde eine lange und weitschweifige Rede, eine Ansammlung von Andeutungen und Zwischentönen, von kunstvoll aneinander gereihten Konjunktiven, doch ihre Quintessenz lautete, wenn sich sein Sohn Stefano den Behörden stelle, würde er dafür sorgen, dass ihm nicht geschähe. Höchstpersönlich, wie er versicherte, und schließlich hätte niemand ein Interesse daran, dass sich die unglückselige Geschichte dieses Jungen aus Sarzana wiederhole, wie hieß er doch gleich, ja, Del Boca, Gino, wenn er sich richtig erinnere. Ein Attentat auf den Duce! Könne so jemand überhaupt ganz richtig im Kopf sein? Sicher wisse er noch, wie dieser Verrückte geendet habe, er und seine Familie, wie er fast bedauernd hinzufügte. Wenn ein paar Arbeiterlümmel auf dumme Gedanken kämen, sei das eine Sache, ein neuer Fall Del Boca werfe aber ein falsches Licht auf die ganze Region, auf die hiesige Partei, nun, und natürlich auch auf ihn... Geradezu überschwänglich verabschiedete er sich.
7. Kapitel
Lauras Brüste waren groß und rund, sie hatten die Form vollreifer Orangen, und wenn sie über ihm schwebten, schwerelos wie Luftschiffe, dann griff er nach ihnen, und sie senkten sich herab auf sein Gesicht, auf seinen Mund, und er trank den Duft ihrer Haut, wurde eins mit der Weichheit und Wärme, die durch seine Wangen drang, durch die geschlossenen Lider.
So hatte er sie geträumt, immer wieder, und auch an diesem Tag war er aufgestanden, als habe sie wenige Augenblicke zuvor noch in seinen Armen gelegen. Als er dann später tatsächlich ihre Lippen streifte, tat er das vorsichtig, als müsse er sich erst vergewissern, wie wirklich sie seien.
Heute hatten sie zum ersten Mal die Straßenbahn genommen. Endstation war Piazza Marconi. Wer wollte, konnte bis nach Viareggio fahren, und es gab auch eine Querverbindung nach Pietrasanta. Maximilian hatte sich schon bei seiner Ankunft über die Elektrische gewundert, die hier allerdings mit Dampf betrieben wurde, die tramvia , wie Laura sie nannte, die ihn eher an eine Großstadt erinnerte und im eingetrockneten Schlamm der Hauptstraße mit ihren tausendfachen Hufabdrücken und den unzähligen Furchen der Fuhrwerke
Weitere Kostenlose Bücher