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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Berge, auch wenn sie dort Alpen hießen. Einmal machten sie sich sogar auf, um das wirkliche Korsika zu suchen, nur nicht nach Deutschland, nach Deutschland nie.
    In einer dieser Stunden, sie hatten sich geliebt, verzweifelt heftig wie so oft, waren sie die Reihe ihrer Kinder noch einmal durchgegangen, von den Ältesten, den Zwillingen Vieri und Giorgio, über Valeria, Serafina, alle zwölf bis zum jüngsten, bis Massimiliano. Plötzlich hatte sich Laura aufgerichtet und gesagt, es sei Zeit, von der Beerdigung zu sprechen.
    Einige Tage bevor der Offizier in seinem Motorwagen mit der Medaille und der Urkunde gekommen war, hatte das Telefon geklingelt.
    „ Tenente Vieri Tarabella, Testpilot der Italienischen Königlichen Marine, ist bei einem Erprobungsflug über den Golf von Taranto für das Vaterland gefallen.“
    Die Leitung war wie tot, rauschte nur ein wenig, und die Mutter rief ein paar Mal Pronto? Pronto? ins Telefon, als könnten sich die seltsamen Worte, die sie gehört zu haben glaubte, als atmosphärische Störungen erweisen, als eine willkürliche Folge zirpender Laute, die zufällig einen Sinn ergaben, die auf irgend einem Planeten im Universum den Satz Tenente Vieri Tarabella, Testpilot der Italienischen Königlichen Marine, ist bei einem Erprobungsflug über den Golf von Taranto für das Vaterland gefallen ergaben .
    Der Mann wiederholte den Satz mit der gleichen unbewegten Stimme.
    Sie wolle gar nicht von den Schreien erzählen, vom Weinen, sagte Laura, das sei eine andere Geschichte. Sie müsse ihren Sohn noch einmal sehen, hatte die Mutter irgendwann gesagt, und der Offizier, der ihre Mutter nicht kannte, der nicht wusste, dass das kein Wunsch und keine Bitte war, auch keine Forderung, nichts, worüber man mit ihr hätte reden oder gar verhandeln können, antwortete, das sei leider nicht möglich, die militärische Zeremonie stünde unmittelbar bevor und ihre Anwesenheit sei weder erforderlich noch angebracht.
    Zwei Stunden später hatten sie im Zug gesessen, ihre Mutter und sie. Sie seien den ganzen Tag gefahren und die ganze Nacht. Und dann auch noch die Hälfte des nächsten Tages. Sie seien rechtzeitig zur Beerdigung im Marinestützpunkt angekommen.
    Sie könne sich so gut daran erinnern, als sei es gestern gewesen, sagte Laura.
    "Es war Ende September und die Luft schon ein wenig feucht. Kennst du das? Du schaust in die Ferne, und du meinst Luftspiegelungen zu sehen, Schatten, Schlieren. Das Meer geht in den Himmel über, ohne eine sichtbare Grenze, ohne einen Horizont, und die Schiffe fliegen, so wie die Flugzeuge zu schwimmen scheinen. Die Häuser der Dörfer schweben über den Hügeln wie Wolken, und die Wolken liegen in den Tälern wie blasse sumpfige Seen. Das war der Tag, an dem wir in Taranto ankamen.
    Das Flugfeld liegt ein Stück oberhalb des Marinehafens, daneben Wiesen mit gelben Blumen. Und ein Hügel. Dort flatterten die Fahnen, die königliche und die der Marine, auch die der Staffel und noch ein paar andere, die ich nicht kannte. Eine Abteilung war in ihren weißen Paradeuniformen angetreten, und die Militärkapelle spielte. Ein Offizier sprach und dann der Pfarrer. In der Mitte von allem ein brauner, glänzender Sarg mit geschnitzten Griffen, ein schwerer, ein wunderschöner Sarg.
    Und jetzt stell dir meine Mutter vor, ganz in schwarz, die da hinaufkeucht mit einer großen Tasche in der einen und mich an der anderen Hand. Sie stürzt auf den Sarg zu, und sagt zu dem Offizier, den sie für den ranghöchsten hält, er möge ihn öffnen. Sofort. Und die Musik bricht ab, und alle stehen ratlos herum. Öffnen sie bitte den Sarg, ich möchte meinen Jungen ein letztes Mal sehen, sagt meine Mutter. Das sei leider nicht möglich, antwortet der Offizier. Es ist mir egal wie er aussieht, sagt meine Mutter. Ich möchte ihn nur noch einmal sehen, dann gehe ich. Und die Offiziere schauen sich an, und meine Mutter tritt vor, um den Deckel selbst abzuheben, und schließlich wird der Sarg geöffnet.
    Der Sarg war leer. Natürlich war er leer, wie hätten sie ihn auch finden sollen dort draußen im Meer? Aber glaub mir, wir hatten keinen Augenblick daran gedacht, dass er leer sein könnte.“ Laura weinte lautlos. „Und plötzlich war alles so lächerlich, wir standen wie Idioten um einen leeren Sarg, Mamma, ich, der Pfarrer, die Offiziere mit ihren blitzenden Säbeln und die Ehrenformation in den weißen Paradeuniformen. Es war, als sei er ein zweites Mal gestorben.“ Sie nahm das Laken und

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