Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Versuche nicht, es zu verstehen. Einer musste es tun, also habe ich es getan, und ich war ja schließlich unsterblich... Und das einzige Mal, wo ich vielleicht trotzdem gestorben wäre, da war jemand da, der es mir abgenommen hat.“
Er schwieg lange. Schließlich fragte sie: „Willst du es mir erzählen?“
Es hieß, etwas Großes sei auf der anderen Seite im Gange, drüben bei den Franzosen, und es wurde ein Freiwilliger gesucht, der sich bis zum gegnerischen Kommandostand durchschlug, um Informationen auszukundschaften. Vom dritten Bataillon hatten es schon zwei versucht und waren nicht zurückgekehrt. Der Hauptmann hatte sie antreten lassen, war auf- und abgelaufen, und sie hatten Löcher in die Luft gestarrt in der Hoffnung, er gehe an ihnen vorbei.
Schließlich sagte er: „Von Kampen, machen sie es?“
„Sicher, Herr Hauptmann“, hatte er geantwortet.
Doch dann war Georg vorgetreten. „Herr Hauptmann, bitte gehorsamst, selbst gehen zu dürfen.“
„Grothe, Sie haben keine Chance.“
„Niemand hat eine Chance, Herr Hauptmann“, hatte Georg geantwortet.
„Grothe, Sie sehen aber nicht aus wie ein verdammter Franzose!“
„Herr Hauptmann, ich spreche aber wie ein verdammter Franzose. Ich bin in Straßburg aufgewachsen.“
„Hm, Ihr Französisch ist akzentfrei, sagen Sie?“ Ein paar Mal schlug er sich mit seinem Stock in die flache Hand. „Da haben Sie aber verdammtes Glück!“ Dann brummte er: „Von mir aus, dann gehen eben Sie!“ Und lauter: „Gehen Sie schon, Grothe, gehen Sie schon, bevor ich es mir anders überlege!“
Und Maximilian sagte zu Laura: „Stell dir vor, mir standen die Tränen in den Augen, aber ich war froh, dass er für mich gehen wollte. Froh! Ich habe gezittert und habe gebetet, er möge gehen. Ich habe ihn nicht einmal angesehen. Und er hat salutiert und ist hinausgegangen. Wie ein verdammter Held.“
Dann hatte er sich auf sie gelegt. „Komm, halt mich fest“, hatte er gesagt, „drück mich, so fest du kannst.“
Und während der Sommer stillzustehen schien, schmiedeten sie Pläne, malten sich ihre Zukunft aus, besprachen sie die Jahre, die sie so deutlich sahen, als blickten sie aus der lichten Höhe des Alters zurück, als blätterten sie in den Fotoalben ihrer Vergangenheit, und sie drehten das eine oder andere Bild herum, um zu sagen, ja, das war der Sommer 1933, ein Jahrhundertsommer, und hier, als wir in Venedig waren, 1941.
Sie erfanden die Namen ihrer Kinder, und als sie fertig waren, auch die ihrer Enkelkinder. Sie fuhren zusammen nach Genua, nach Florenz, nach Rom und nach Venedig. Nach Venedig! Nach Deutschland nie. Nie in jenes Land, das jenseits der Berge lauerte, fremd und unergründlich.
Deutschland. Zu unwirklich erschien dieses Wort, um es in den Mund zu nehmen. Es gab kein Deutschland. Es gab nur dieses Zimmer, die Pension und ein kleines Stück Land, die Küste, das Meer und die Berge. Eine hungrige Küste, über der tags eine Sonne aufging und manchmal ein Mond. Und es gab die Jahre, die sie gemeinsam durchwanderten, die im Zeitraffer jener Wochen Gestalt annahmen, groß und gewaltig wie Wolken.
Dann führten sie gemeinsam die Pension. Vittoria hatten sie nach Pisa verheiratet, und Stefano war Abgeordneter im fernen Rom geworden, ein feiner Herr, dem ein livrierter Fahrer die Tür seines glänzenden Automobils öffnete. Piero und Maria saßen alt und zufrieden im Hof unter den Weinranken und lösten gemeinsam die vertracktesten Rätsel der Settimana Enigmistica . Und manchmal setzten sie sich alle zusammen in die Abendsonne, um eine Flasche Spumante zu trinken.
Wenn sie die Pension Vittoria oder Stefano überlassen hatten, dann wohnten sie in einer kleinen Villa oberhalb des Lidos, und Maximilian schrieb seine Gedichte, bearbeitete den Marmor, blendend weiße Blöcke Statuario , die sich in seiner Werkstatt auftürmten wie Berge. Seine Verse waren makellos wie seine Statuen, rein wie eine Wahrheit, die auf ewig bestand hätte. Wenn Matteo sie besuchte und die Kinder um ihn herumsprangen, dann dachten sie gerne an das große Abenteuer zurück, jetzt, da Wasserski fahren alltäglich geworden war, seit Scott unten an der Landungsbrücke sein Geld mit einer kleinen Wasserskischule verdiente.
Manchmal zogen sie nach Venedig, in das Haus der Großtante. Sie zogen dahin, weil auch Venedig eine Insel im Meer war, eine schlafende Insel, von der man im Winter bei klarer Sicht auf die Berge sah, wie hier auf die sagenumwobenen korsischen
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