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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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die leichtfertige Vittoria, die sich von ihr schon lange nichts mehr sagen ließ. Selbst Laura, die so abgeklärt durchs Leben schritt, als könne sie allen Tugenden der Welt gleichzeitig gerecht werden, raubte ihr den Schlaf. Und nun Stefano mit seinen wirren Ideen, dem gefährlichen Umgang, der ihm jetzt, wie oft hatte sie ihm das gepredigt, zum Verhängnis werden würde.
    Der 15. August war ein Feiertag. Die Elfuhrmesse dauerte länger als an einem normalen Sonntag, und zum Abschluss gab es eine kleine Prozession durch die Via della Posta zur Piazza Garibaldi hinauf, an der alle Pensionsgäste und die Wirtsfamilie in seltener Eintracht teilnahmen. Die Töchter gingen im weißen Kleid voran, und Maria, die an diesem Tag die größte Kerze gespendet hatte, deren sie habhaft werden konnte, sorgte mit Gezische und Knüffen dafür, dass sie von den Männern getrennt blieben. Sie glich einem schlecht gelaunten Schäferhund, dem es keine Mühe bereitet, seine kleine Herde beisammenzuhalten. Concetta, die um sechs zur Frühmesse zu gehen pflegte, war in der Pension geblieben, um das Mittagessen zu richten.
    Am späten Nachmittag brachen sie zum Hafen von Carrara auf. Wie immer sollte es an diesem Tag ein großes Feierwerk geben, eines der Ereignisse, an denen die Gegend nicht gerade reich gesegnet war, und so strömten die Menschen von der ganzen Küste hin. In diesem Jahr sollte zudem die lizzata des Monolithen gefeiert werden, eine Jahrhunderttat, die vier Männer und einem Dutzend Ochsen das Leben gekostet hatte, und so war der kleine Jahrmarkt, der sonst kaum mehr als ein Karussell und ein paar Buden umfasste, auf die Größe eines richtigen Lunaparks angewachsen. Es gab Grillwürstchen zu essen, Lamm und frissoli , Reisfrikadellen, natürlich Süßigkeiten jeder Art, aber auch gebratene Fische, die in gelbes Packpapier eingeschlagen wurden, und mit Schinken oder Speck gefüllte focaccia . An einem Stand gab es auch caldacalda , ein aus Eiern und Saubohnenmehl zubereiteter Pfannkuchen, der mit Unmengen schwarzem Pfeffer bestreut und, der Name legte es nahe, sehr heiß gegessen werden musste. Die Luft war erfüllt vom Duft von vielerlei Gebratenem, und als die beiden Fuhrwerke nach zwei langen Stunden auf der breiten Uferstraße von Carrara anhielten, stürzten sich die Pensionsgäste hinaus, als hätten sie seit Tagen gehungert. Vielleicht war es auch der Chianti, den Piero ihnen mit auf dem Weg gegeben und dem sie laut singend ausgiebig zugesprochen hatten – zwei leere fiaschi lagen auf dem Wagenboden –, der ihren Appetit angeregt hatte. Jedenfalls waren sie guter Dinge, als sie auf den großen staubigen Platz mit seinen blinkenden Lichtern kamen.
    Gemeinsam gingen sie an den Ständen und Buden entlang, Giacometti zwischen den Petrellis eingezwängt, die sich aufgedonnert hatten, als ginge es zum Opernball, daneben Lidia, still, aber lächelnd an Scotts Arm, dahinter die russischen Brüder, ausgelassen scherzend, wie schon lange nicht mehr, Germaine, die neben einer gefassten Vittoria lief, sie vielleicht tröstete – Josef Lindemann war der erste, der abreisen würde –, und schließlich Laura und Maximilian, denen sich der andere Deutsche angeschlossen hatte. Dann kam Matteo mit einem Berg caldacalda und ließ alle probieren. Eine Spezialität seiner Heimat, wie er mit vollem Mund zu verstehen gab, und einzig Giacometti, der undeutlich etwas von "armer Heimat" murmelte, verschmähte das Angebot.
    Neben einem Zelt, in dem ein Magier halbstündlich eine leicht bekleidete Jungfrau zu köpfen vorgab, stand eine jener Maschinen, auf die man mit aller Kraft schlagen musste, um seine Männlichkeit zu messen, und Scott, der sich gern jeder Herausforderung stellte, gelang es, angefeuert vom Johlen der Umstehenden und nach einigen Anläufen, die Höchstmarke zu treffen. Vielleicht war es jene Bemerkung über die Heimat gewesen, die Hochnäsigkeit, mit der Massimo Giacometti zwischen Mutter und Tochter stand, vielleicht die Rivalität um die Schwester. Immer noch lachend, laut und in seinem besten Italienisch forderte der Amerikaner Giacometti zu einem kleinen Zweikampf heraus, wie er sagte, er selbst nur mit der Linken - seine behaarte Pranke ging hoch -, während der andere mit allem draufhauen dürfe, was er habe - allgemeines Gelächter erhob sich -, um die Ehre oder besser, um die letzte verbliebene Flasche Champagner. Giacometti, der zu intelligent war, um sich auf ein solches Spiel einzulassen, schwieg und

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