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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Ochsenkarren mitgenommen, dann dauerte es fast genauso lang, aber sie musste nicht gegen den kalten Wind ankämpfen, der über die Hänge der Berge pfiff und oft Regen mit sich brachte. Busse gab es nicht, und von einem Armeefahrzeug ließ sie sich nur ungern mitnehmen. Roh waren die Scherze der Soldaten oder Milizionäre, und allein mit ihnen im Zwielicht des Morgens oder Abends zu fahren, behagte ihr nicht. Lieber ging sie dick eingepackt, unter Röcken und Mänteln verborgen, mit Hals- und Kopftüchern vermummt wie eine alte Frau die einsame Straße entlang.
    Sie kochte für Maximilian, putzte, räumte auf, sie wusch seine Wäsche, bügelte die Uniform und nähte Knöpfe an. Sie fettete seine Stiefel ein, so wie sie es von ihrem Mann gelernt hatte, mit ranzigen Speckschwarten, die sie von zuhause mitbrachte. Und wenn Maximilian unterwegs war, in der Kommandantur oder auf einer seiner vielen Inspektionsreisen in die nähere und weitere Umgebung, dann durchsuchte sie seinen Schreibtisch, die Schubladen, die Schränke. In der ständigen Angst ertappt zu werden - der Wachposten stand vor dem Haus und häufig kamen Boten, um etwas abzuholen oder zu bringen -, ging sie die Akten, die Rundschreiben, die Tagesbefehle durch, suchte nach etwas, was sie verstand, eine Übersetzung, ein Schreiben der italienischen Behörden, Schriftverkehr mit den hiesigen Armeeverbänden oder den faschistischen Einheiten. Manchmal, wenn die Umstände es erlaubten und es ihr wichtig erschien, schrieb sie ein deutsches Schriftstück ab. Einer von Stefanos Männern wusste sicher etwas damit anzufangen.
    Im November setzte der Dauerregen ein. Es regnete tagelang, wochenlang. Es regnete von morgens bis abends. Es regnete nachts. Wenn zwischendurch der Himmel sich aufhellte und der Regen nachließ, sich die eng an die Berge schmiegenden Wolken ein paar Meter gehoben hatten, dann liefen die Menschen auf die Straße, um Lebensmittel zu besorgen, Behördengänge zu erledigen oder anderes Liegengebliebene nachzuholen. Überall war Wasser. Es stand in tiefen Pfützen auf dem Kopfsteinpflaster, es drang in die Keller, es schäumte in den vormals ausgetrockneten Flussbetten und stürzte von den Felswänden in die Täler hinab. In der ganzen Gegend verschlammten die Straßen, rissen Bergrutsche die Wege mit sich. In den Häusern beschlugen die Fenster, die Bettwäsche war klamm, und die Kleidung wollte selbst dicht bei den Öfen nicht trocknen.
    Mit dem Regen kam auch die Trostlosigkeit, die dem November an der Küste eigen war. Die Welt schien sich aufzulösen. So wie die Berge verschwanden, die bläulich leuchtenden Felsen und die weiß glitzernden ravaneti der Steinbrüche, so versank auch das Meer im Nebel, wurde eins mit den grauen bis auf den Boden hinabreichenden Wolken. Im fahlen Licht und im immer währenden Rauschen blieben einzelne Dächer zurück, ein sumpfiger Acker, die Skelette der entlaubten Kastanien. Und die Friedhöfe, zu denen die Menschen in den kurzen Regenpausen eilten, als gebe es nichts Wichtigeres.
    Maximilian war jetzt häufiger zu Hause. Nur selten ging er zu Hauptmann Guderjahn hinüber. Dann kam er vollkommen durchnässt zurück, trank einen Tee, und das ganze Haus duftete nach Zimt und Nelken. Er telefonierte oft und lange. Manchmal kam ein geschlossener Wagen, um ihn abzuholen. Die meiste Zeit saß er am Schreibtisch und schrieb. Las er ein längeres Schriftstück, setzte er sich in den alten Lehnstuhl am Ofen und schlug die Beine übereinander. Dann und wann rieb er sich die kalten Hände und überlegte, ob das Holz, der armselige Vorrat an Kohlen über den Winter reichte.
    Sie sprachen wenig miteinander. Wenn jemand von ihnen etwas sagte, dann ging es um den Haushalt, das Essen, die Einkäufe, was zu erledigen sei und was schon getan war. Sie fragte ihn, wann er zu Tisch wolle, er erkundigte sich, ob sie mehr Haushaltsgeld brauche. Sie bemühte sich, Deutsch zu sprechen, schon bald hatte sie einige alltägliche Vokabeln gelernt, er pflegte sein Italienisch, das durch die Arbeit von Woche zu Woche besser wurde, und wäre diese gegenseitige Fremdsprachigkeit nicht gewesen, sie hätten einem Ehepaar zum Verwechseln geähnelt, das schon seit Jahrzehnten verheiratet war. Hinzu kam eine Höflichkeit im Umgang miteinander, die allgegenwärtig war, eine fast übertriebene Aufmerksamkeit, mit der sie sich bedachten.
    An einem dieser Regentage legte er die Zeitung beiseite, stand von seinem Lehnstuhl auf und stellte sich ihr in den

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