Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
aufmerksam und neugierig schien. Einzig seine grünbraunen Augen blieben in diesen ersten Tagen unruhig, wenn er verlegen vor Maximilian stand.
Sie schüttelten sich die Hand, ein langer und warmer Händedruck, und Maximilian, der sich freute, Lauras Vater wiederzusehen, erkundigte sich nach Maria, Pieros Frau, nach den anderen Kindern. Dieser breitete die Arme aus in jener für die Menschen hier so typischen Geste und sagte "Beh!"; starrte auf seine Uniform oder einfach nur geradeaus. Er hatte etwas Väterliches an sich, etwas Fürsorgliches, aber auch Verletzliches, das so ganz anders war als die unnahbare Strenge seines eigenen Vaters, und zum ersten Mal, seit er angekommen war, schämte sich Maximilian, schämte sich, dass er in Italien war, schämte sich, dass er eine Uniform der deutschen Wehrmacht trug.
In Pieros Begleitung war ein Halbwüchsiger, der Maximilian aus grauen Augen finster musterte und auch dessen Begrüßung nicht erwiderte. Der Junge hatte ein blasses, schmales Gesicht und trug ein Tuch um den Hals, wie es die Marmorarbeiter zum Schutz vor Splittern zu tragen pflegten. Er blieb im Halbdunkeln hinter Piero stehen, überragte diesen um Kopfeslänge und verfolgte das seltsame Wiedersehen mit zusammengepressten Lippen.
Dann kam Laura. Als müsse sie die Szene, die sich ihr bot, erst auf sich einwirken lassen, blieb sie einen Moment in der Küchentür stehen. Schließlich sagte sie: „Das ist Vieri. Mein Sohn.“
Die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Sohn war unverkennbar, und Maximilian, der das vertraute Gesicht nicht sofort mit ihr in Verbindung gebracht hatte, wunderte sich, dass er sich Laura in all den Jahren nie als Mutter oder Ehefrau hatte vorstellen können. Sie war immer siebzehn geblieben, immer eine junge Frau und immer hatte sie auf ihn gewartet. Er hatte sie in seine Erinnerungen eingesperrt, in eine Zeit, die stets die gleiche geblieben war, während er sich Jahr um Jahr entfernte. Das gleiche galt für ihre Kinder, ihre gemeinsamen Kinder, jene, die sie in den langen heißen Nachmittagen und Nächten erfunden hatten. Vielleicht war er deshalb so betroffen, ihren Sohn zu sehen, einen Sohn, der auch einen Mann voraussetzte, einen Ehemann, eine ganze Familie. Hinzu kam der Name, und während er in Vieris kalte Augen blickte, fühlte er sich betrogen, fühlte sich um die Kinder betrogen, die er mit Anne nicht gehabt, und um jene, die er mit Laura gedacht hatte, fühlte sich um den Sohn betrogen, dessen Name jetzt ein anderer trug.
Später sollte er ihr das vorwerfen, sollte ihr vorwerfen, ihre gemeinsame Zukunft verraten zu haben, nicht lange genug gewartet, sich mit dem Erstbesten eingelassen zu haben, mit dem Erstbesten oder mit einem, den sie schon kannte, als sie mit ihm noch scheinheilig Händchen hielt. Eine lächerliche Eifersucht hatte ihn plötzlich überschwemmt, eine Eifersucht, die die ganze Enttäuschung in sich trug, die er über die Jahre in sich gesammelt hatte.
Er stellte sie zur Rede. Seit Tagen schon hatte es in ihm gearbeitet, verfolgte ihn Vieris Blick, die Verachtung darin, und im gleichen Maße, wie er sich ausgeschlossen fühlte, meinte er, auch Laura zu verlieren – eine Fremdheit die tiefer wurde, je häufiger er das Bild beschwor. Und obwohl er wusste, dass er kein Recht hatte, ihr Vorwürfe zu machen, dass sein eigenes Verhalten um nichts besser war als ihres, blieb diese maßlose Enttäuschung, ein tiefer Schmerz, der mit einer ebenso großen Wut einherging.
Laura stand über der Spüle gebeugt. Wie versteinert hörte sie ihn an, hörte seine Ironie, die bösartigen Anspielungen, hörte, wie er sich hineinsteigerte, angestachelt von ihrem Schweigen, bis er irgendwann selbst zornbebend schwieg. Dann baute sie sich vor ihm auf, sah auf in sein vor Wut graues Gesicht, und ihre Augen schienen ihn zu durchbohren. Mit all der Kraft, zu der sie fähig war, schlug sie ihm ihre nasse Hand ins Gesicht. Sie sagte: „Dummkopf! Es ist dein Sohn!“, und dieses dein war das einzige Wort, das sie hinausschrie, in das sie ihre ganze Wut legte. Dann warf sie ihre Schürze auf den Küchentisch, nahm ihre Sachen und ging. Maximilian stand in der Küche, hielt sich die glühende Backe und versuchte zu verstehen.
Doch das war einige Tage später. An diesem Abend hatte er seinen Sohn zum ersten Mal gesehen, ein Sohn, der so fremd war, als sei ein anderer der Vater, und als Vieri in Lauras und Pieros Begleitung mit hoch erhobenem Kopf hinausging, fühlte Maximilian sich
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