Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Tagen, den in Aussicht gestellten Lohn mehrmals erhöht, ohne jemanden aus der Einwohnerschaft dazu bewegen zu können, für einen Deutschen zu arbeiten. Zwischenzeitlich hatte er die Hoffnung fast aufgegeben und sich mit der Aussicht abgefunden, sich von seinem Adjutanten versorgen zu lassen, für den zwar die hiesigen Kaffeemaschinen unergründbare Geheimnisse zu bleiben schienen, der aber, was das Zubereiten einfacher süddeutscher Gerichte anging, einiges Geschick zeigte. Dennoch war Maximilian erleichtert, die Neuigkeit zu hören, und er machte Gerd ein Zeichen, die Frau hereinzuführen.
Laura hatte sich lautstark geweigert, hatte ihn für verrückt erklärt, für unzurechnungsfähig, für skrupellos, und Stefano, der erwartet hatte, er könne sie mit einer schlichten Bitte dazu bewegen, notfalls mit der Autorität des älteren Bruders, die alte Verbindung zugunsten der Widerstandsbewegung wiederzubeleben, war ratloser geworden, je länger das Gespräch andauerte. Was schließlich den Ausschlag gab, hätte er nicht zu sagen gewusst, die verständnisvollen Worte, die er für Maximilian von Kampen fand, für seinen Weggang, für seine Wiederkehr, der Patriotismus, den er eindringlich in der Schwester beschwor, die schweren Zeiten, die Notwendigkeit, die eigene Verletzlichkeit hinter die gemeinsame Sache zurückzustellen, und was er noch alles bemühte, um sie zu überzeugen. Was sie Widerstand leisten ließ, war nicht ihr Widerwillen, für die Besatzer zu arbeiten, und sie hatte auch keine Vorahnung, sie könne dafür tatsächlich einmal zur Rechenschaft gezogen werden. Dass ihre Verbindung zu Maximilian der Anlass sein könnte, sie kurz nach der Befreiung zum Tode zu verurteilen, wäre ich genauso abwegig erschienen wie das Ansinnen des Bruders. Es war ein Schmerz tief in ihrem Inneren gewesen, der Schmerz, der am Tage der Ankunft Maximilians wieder erwacht war, dem sie keine Nahrung geben wollte. Doch dann war sie irgendwann still geworden, hatte sich in ihr Schicksal gefügt, hatte gesagt: "Gut, ich mach’s", und zum ersten Mal hatte sie gefühlt, was Maximilian fast zwanzig Jahre zuvor beschrieben hatte. Es war leicht nachzugeben, es war leicht, sich aufzugeben, eine Leichtigkeit, mit der man in den Tod hätte gehen können.
Als sie sich dann in der Kommandantur an den Adjutanten gewandt hatte, war sie vollkommen ruhig gewesen. Der gut aussehende Unteroffizier hatte sie überaus höflich behandelt, und wären die Abzeichen am Revers seines Kragens nicht gewesen, er hätte ein älterer Freund ihres Sohnes sein können. Sie hatte sich als Frau Lucetti vorgestellt, und als Seewald sie mit diesem Namen ankündigte, gab es nichts, was Maximilian vorbereitet hätte. Er sah auf, starrte sie an, und Laura hatte Zeit, ihn in Ruhe zu betrachten.
Maximilian sah müde aus. Er war so dünn wie damals. Das kurzgeschnittene braune Haar schien lichter und heller, von der Sonne gebleicht oder vom ersten Grau durchzogen. Zwei tiefe Falten hatten sich zwischen Nase und Mundwinkel eingegraben und verliehen seinem Gesicht zusammen mit den abfallenden Brauen einen ernsten, fast strengen Ausdruck. Und doch, trotz des Alters wirkten seine Züge gleichmäßiger, harmonischer. Es war derselbe Effekt, den Laura schon mehrmals beobachtet hatte, verglich sie alte Fotografien mit dem lebenden Vorbild. Die Jugend schien eine Karikatur des Alters. Nicht umgekehrt, und das erstaunte sie auch an diesem Tag.
Sie selbst war schwerer geworden, ohne dick zu sein. Sie hatte ein Kopftuch übergezogen, einen dünnen Umhang und fröstelte. Sie fragte sich, ob er sie erkannt hatte, suchte in seinen grauen Augen nach etwas, was sie an früher erinnert hätte, suchte ihn, suchte sich selbst, so als könnte sich ihr Spiegelbild als das Abbild jener Siebzehnjährigen entpuppen, sah sie nur genau genug hin.
Lange sagte niemand ein Wort, so lange, dass Gerd Seewald unruhig wurde. Schließlich machte ihm Maximilian ein Zeichen, sie allein zu lassen.
Erst dann sagte er "Laura!", fassungslos, so lächerlich erstaunt, als begegneten sie sich im tiefsten Afrika oder am Polarkreis und nicht wenige Kilometer von jenem Ort entfernt, an dem sie sich getrennt hatten. Aber vielleicht schaffte die Zeit größere Entfernungen als der Raum, dachte Laura.
Fortan kam Laura täglich in die Casa Letizia. Für den Weg von Carrara, wo sie seit der Requirierung der Pension wohnte, nach Monteforte brauchte sie zu Fuß eine gute Stunde. Manchmal wurde sie von einem
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