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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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elend, elend und einsam.

4. Kapitel
     
    Nebelwolken füllen das Tal. Graue Schwaden, die wie schmutziger Schnee auf den Hängen liegen und die dreißig Kilometer lange Senke zwischen Pontremoli und der Enge von Stadano den Blicken entziehen, fern und geheimnisvoll erscheinen lassen. Tief unten schimmert der perlmuttfarbene Fluss, blitzen die Gleise der Eisenbahnlinie in den ersten Strahlen der Sonne auf. Daneben das von der Nässe geschwärzte Band der Straße, die von Parma zur Küste führt.
    Wenn dann die Sonne höher steigt und der Himmel die Farbe der Fresken in den Herrenhäusern annimmt, ein durchsichtiges Blau, durch das golden das Licht der Sonne fällt, schwer und ungehindert, beginnen die Nebelbänke sich aufzulösen und geben den Blick auf die Berge frei. Der braune Kamm der Apenninen auf der einen Seite, die schroffen Felsen der Apuanischen Alpen auf der anderen. Nach Westen hin spaltet sich der Kessel. Hinter der grasgrünen Ebene von Luni öffnet sich die Bucht von La Spezia, spannt sich das Thyrrenische Meer bis zum Horizont.
    Eingestreut zwischen nackten Kastanienwäldern und blaugrünen Seepinienhainen, zwischen Weiden und Äckern liegen winzige Dörfer, Weiler, einzelne Häuser, Kapellen und Klöster. Rauchfahnen steigen aus den Kaminen, steigen hinauf zu den Eichenwäldern und den Zypressen der Anhöhen, dorthin, wo die rußgeschwärzten Ruinen der Burgen das Tal noch immer zu beherrschen scheinen.
    So sieht das Tal des Magra an einem Wintermorgen aus, und das war auch der Anblick, der sich Stefano an jenem Tag im Januar bot, als er bergan ging.
    Er war mit der aufgehenden Sonne aufgebrochen, um vor Mittag bei den Männern zu sein.
    Die Wege hinauf zum Monte Bardone wurden schon von alters her von Räubern und Mördern unsicher gemacht, von Wegelagerern und Salzschmugglern, und als Lauras Bruder an einem der Schilder vorbeikam, die kürzlich aufgestellt worden waren und in der verschnörkelten Schrift der Besatzer vor den Partisanen warnten, musste er lachen. Achtung Banditen! war dort zu lesen, eine Warnung, die durch zahlreiche Einschusslöcher unterstrichen schien, Spuren von Schießübungen, die aufgrund des allgemeinen Munitionsmangels eher den Schwarzen Brigaden als den eigenen schlecht bewaffneten Einheiten zuzuschreiben waren.
    Täglich stießen neue Männer zu ihnen, junge Burschen, die gerade ihren Einberufungsbefehl erhalten hatten, zerlumpte Angehörige der regulären Armee, die sich weigerten, zur Truppe zurückzukehren und seit Wochen durch die Apenninen irrten. Niemand hatte Papiere oder gar einen Ausweis, und so musste man darauf vertrauen, dass sich keine Spitzel unter ihnen befanden. Sie gaben sich einen Decknamen, zuerst hochtrabende wie Cäsar, Hannibal oder Korsar, später, bescheidener geworden, ursprünglichere, doch nicht minder blutrünstige, dann nannten sie sich Tiger oder Panter. Stefano hatte in Gedenken an den Großvater den Namen Simon gewählt.
    Als er nach mehr als drei Stunden in Sichtweite des Hofes kam, blieb er kurz stehen. Sein Atem ging schnell, und er musste den Hustenreiz unterdrücken, der ihn in den letzten Tagen häufig quälte. Die Riemen des Rucksacks schnitten ihm in die Schultern. Er spuckte den Tabak aus und sah prüfend zu den halb zerfallenen Mauern. Von hier oben hatte man eine gute Sicht auf das Tal und konnte den Aufstieg eine halbe Wegstunde weit einsehen. Durch die Zähne stieß er einen durchdringenden Pfiff aus, und als ihm von oben geantwortet wurde, atmete er erleichtert auf.
    Er begrüßte Mick, den Polen, der auf einem Stein saß und die Beine baumeln ließ. Der ehemalige Zwangsarbeiter hielt ein altes Jagdgewehr in den mit Wollresten umwickelten Händen und schien erbärmlich zu frieren. Weiß wie Rauch entwich der Atem seinen grauen Lippen.
    „Der tenente ?“ Stefanos Blick ging zum halb zerfallenen Gebäude. Der Pole nickte.
    Als er die Tür zum einzig halbwegs erhaltenen Raum aufstieß, schlug ihm beißender Rauch entgegen. Drinnen war es dunkel, aber warm. Seine Augen brauchten eine Weile, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. In der Mitte des Raumes, in einer behelfsmäßig hergerichteten Feuerstelle, brannten prasselnd einige feuchte Äste. Daneben lag Essgeschirr. Ein mit Wasser gefüllter kupferner Topf stand auf einem flachen Stein bei den spärlichen Flammen. Der Raum war groß und langgestreckt, ein ehemaliger Stall vielleicht, denn überlag lag Stroh auf dem Boden, war trockenes Laub aufgeschichtet worden.

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