Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Roberto und Stefano sahen sich an. Schon mehr als einmal hatte es falschen Alarm gegeben. Eine alte Bäuerin hatte in Pontremoli etwas aufgeschnappt, und bis das Gerücht zu ihnen herauf gedrungen war, hatten sich ein paar lustlose Polizisten unten auf der Durchgangsstraße in ein ganzes Bataillon von Elitesoldaten verwandelt, die Grashalm für Grashalm das Tal durchkämmten. Doch diesmal schien es ernst zu sein.
So ruhig Lina äußerlich schien, sie drängte zur Eile. Oben auf dem Berg gebe es eine Höhle, da wären sie erst einmal sicher.
Stefano sah hinauf. Hinter einer verwilderten Weide begann der Aufstieg. Von unten war nur dichtes Gebüsch und nackter Fels zu sehen, kein Weg, nicht einmal ein Trampelpfad. Für einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, zu seiner Frau Gina und Tochter Annalisa zurückzukehren, so zurückzukehren, wie er heraufgekommen war, als einsamer Wanderer. Er wurde nicht gesucht, und seine Papiere waren in Ordnung. Aber womit sollte er rechtfertigen, dass er sich in den Bergen herumtrieb, anstatt seiner Arbeit im Arsenal von La Spezia nachzugehen?
Es ertönte erneut ein leiser Pfiff, und Leone, Linas jüngerer Bruder, stand vor ihnen.
„Sie sind im Dorf. Fünf Mann. Saufen uns erst mal den Wein weg, können aber jeden Augenblick hochkommen. Sie suchen Engländer. Ich würde mich aber nicht darauf verlassen.“ Er grinste. Im Gegensatz zu der Schwester, deren Italienisch melodiös und fast rein war, sprach er den Dialekt des Tales, eine dichte Folge abgehackter Laute, die für den Genueser kaum verständlich waren.
„Engländer?“ Tenente Roberto dachte an Hauptmann Lewis, der in der Gegend von Rossano, auf der anderen Seite des Bergkamms, eine internationale Brigade führte. Und dann gab es noch Hayden, der sich mit einigen ehemaligen alliierten Kriegsgefangenen im unwegsamen Gelände bei Vinca verschanzt hatte. Aber es war nicht auszuschließen, dass sich hier noch mehr Engländer versteckt hielten.
Lina versprach, ihnen am nächsten Morgen etwas zum Frühstück hinaufzubringen und machte sich auf dem Weg zurück ins Dorf. Leone sollte sie zur Fúu delle Fate hinaufführen. Eilig brachen sie auf. Vor Einbruch der Dunkelheit mussten sie oben sein.
Leone ging zielstrebig voran, ohne jemals anzuhalten, und schon bald hatten sie Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Lange marschierten sie über verlassene Weiden, wichen dornigen Hecken aus und bahnten sich den Weg durch ein Gestrüpp wilder Haselnusssträucher. Dann wurden die Pflanzen niedriger, um schließlich nacktem Stein zu weichen, einzelnen Moosen. Auf Händen und Füßen überwanden sie die letzten Meter.
Inzwischen war der Nachmittag weit fortgeschritten, und die Sonne stand tief über dem Meer. Im Tal war es schon Nacht, nur noch die Gipfel der Berge glommen rötlich in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Hoch über ihnen stand bereits die fast volle Scheibe des Mondes.
Die Fúu delle Fate, die Feengrotte, war eher ein tiefer Spalt im Felsgestein, als eine richtige Höhle. Ein enger Durchgang führte in einen halbrunden Raum, der mühelos eine ganze Kompanie hätte aufnehmen können. Hier war es nicht ganz dunkel, denn der Spalt, durch den sie hereingekommen waren, setzte sich im Innern fort, bildete einen langen Kamin, der geradewegs zu einem Stück sternenübersäten Himmel zu führen schien.
Sie sahen sich um. Die ganze Grotte schien zu glitzern, zu funkeln und zu blinken, bläulich, violett, weiß zu schimmern. Als entwichen dem Stein brennende Gase, glühten die Wände und die Decke in den Farben eines kalten Feuers. Ein Effekt der sich verstärkte, ging man herum, und so strichen sie durch die Höhle, berührten den Stein und blickten auf ihre Hände in Erwartung, auch diese begännen zu leuchten. Aber es war kein Gas und kein Phosphor, nichts, was aus sich selbst heraus hätte brennen können. Es waren Quarze, und die Grotte war von ihnen überzogen, war ein einziger riesiger gespaltener Quarzstein. Selbst auf dem Boden reflektierten unzählige Kristalle das Licht des Mondes, das silbrig durch den Kamin fiel.
Und als Leone ihnen von der Legende erzählte, da konnten sie sich lebhaft vorstellen, wie die Feen hier in Vollmondnächten tanzten. Doch für sie waren es Frauen, wunderschöne und leichtbekleidete Frauen, deren verführerische Körper sich anmutig im Gleißen der Kristalle bewegten, nur begleitet von ihrem Sirenengesang. Sie trugen die Gesichter der Ehefrau oder der Verlobten, der
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