Die Nacht zum Dreizehnten
Phisto ging neben Dr. Heidmann her und begleitete ihn zum Ärztehaus. »Aber vielleicht ist es ganz gut so. Wir müssen ja schließlich auch ein paar jüngere Schwestern haben, auf die wir uns voll verlassen können.«
*
Ariane Quenstadt mußte innerlich lachen, als sie den vergeblichen Versuch Dr. Heidmanns bemerkte, ihr zu folgen. Sie fand ihn sehr nett, fand überhaupt alle Ärzte, die sie bisher kennengelernt hatte, nett. Sie behandelten sie freundlich, obgleich sie nicht wußten, wer sie in Wirklichkeit war. Sie begann dieses Spiel, das man ihr in gewisser Weise aufgedrängt hatte, immer mehr zu genießen.
Sie hatte das Schwesternhaus erreicht, schloß die Tür auf und stieg die Treppe empor, die zu ihrer Etage führte. Rosenduft erfüllte ihr Zimmer. Die drei Blüten, die auf dem Schreibtisch standen, hatten sich weit geöffnet. Die warme Sommerluft verstärkte ihren Duft noch, so daß er den ganzen Raum erfüllte.
Sie hatte noch gar nicht richtig Gelegenheit gehabt, ihr Zimmer einzurichten. Aus ihrem kleinen Koffer nahm sie eine Fotografie und stellte sie auf den Schreibtisch. Es war das Bild ihres Sohnes David, den sie über alles liebte, der ihr sozusagen der Ersatz für einen Ehemann geworden war – ein Ersatz, der in diesem Fall, wie sie sich oftmals tröstete, bestimmt besser war als ein Original.
Einen Augenblick lang weilten ihre Gedanken bei dem Vater des Kindes. Wenn sie sich jene Zeit, die sie mit ihm in Südfrankreich verlebt hatte, in die Erinnerung zurückrief, so mußte sie zugeben, daß sie sie nicht bedauerte. Es waren vielleicht die schönsten Tage ihres Lebens gewesen, sicherlich auch deshalb, weil sie sich niemals an Dietmar Bursoni gewandt hatte, als er nachher berühmt geworden war. Sie fürchtete, daß dann das Schöne aus der Vergangenheit verschwinden würde; wie es ja wohl immer geschieht, wenn man zu den Stätten zurückkehrt, an denen man als Kind glücklich gewesen ist. Die Erinnerung vergoldet alles. Die rauhe Wirklichkeit zerstört dann das feine Gespinst, das die Phantasie um jene Ereignisse gewoben hatte. Das wollte sie nicht.
Ariane hielt das Foto in der Hand und betrachtete lange das hübsche, offene Gesicht ihres Sohnes. Sie fragte sich, was aus ihm wohl werden würde … vielleicht auch ein berühmter Chirurg? Vielleicht ein Künstler …
In dem Jungen war noch alles offen, in keiner Weise deutete sich der Weg an, den er nehmen würde.
Sie erschrak. Das Telefon schellte. Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie den Hörer überhaupt abnehmen sollte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, daß es schon spät sei. Sie war müde. Die Operation hatte sie sehr angestrengt.
Als das Schellen nicht aufhören wollte, griff sie nach dem Hörer, nahm ihn ab und meldete sich ein wenig verärgert.
»Ja?«
»Wo stecken Sie denn?« Schwester Angelikas Stimme klang wütend. »Wir suchen Sie überall!«
»Warum das?« Ariane Quenstadt war jetzt mehr erstaunt als verärgert. »Ich bin nach dem Eingriff gleich in mein Zimmer gegangen.«
»Aber Sie müssen doch die Nachtwache bei dem Patienten übernehmen! Wir haben zuwenig Schwestern. Da müssen Sie sich schon überwinden, diese unangenehme Aufgabe zu übernehmen.«
Einen Augenblick lang war Ariane geneigt, ihre Identität aufzudecken und der Schwester zu sagen, daß sie keine Lust hätte, Schwesterndienste am Bett eines Unbekannten zu übernehmen.
Aber dann verzichtete sie. Schließlich hatte sie sich auf dieses Spiel eingelassen, nun konnte und durfte sie es nicht vorzeitig abbrechen. Warum sollte sie auch nicht einmal Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln! Als Ärztin hatte sie nie Gelegenheit, die Tätigkeit einer Schwester kennenzulernen.
»Ich komme«, sagte Ariane resignierend und legte den Hörer auf. Sie schaute sehnsüchtig auf ihr Bett, das auf sie wartete und auf das sie sich gefreut hatte. Dann nahm sie den weißen Kittel von dem Haken an der Tür. Jetzt brauchte sie eine Tasse Kaffee! Aber woher nehmen? Die erste Anschaffung, die sie hier tätigen mußte, war sicherlich eine kleine Kaffeemaschine, denn schließlich würde sie als Vertreterin Professor Bergmanns auch dann und wann nachts aus dem Schlaf geholt werden.
Sie ging zur Tür, knipste das Licht aus und ging durch den Rosengarten zur Klinik. Sie erschrak, als es vor ihr raschelte. Aber es war nur eine Katze, die über den Weg gelaufen war und sie nun vom Gebüsch her anschaute. Die Augen schimmerten grünlich in der Dunkelheit.
Ariane mußte über den
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