Die Nacht zum Dreizehnten
Phisto tut das sonst nicht. Der hat ein so loses Maul, daß alle Welt ihn fürchtet, aber diesmal hat selbst er gekuscht. Und Schwester Euphrosine –«, Angelika lächelte, »war fromm wie ein Lamm! So lieb und freundlich habe ich sie schon lange nicht mehr erlebt. Aber das ist ja auch kein Wunder. Man merkt eben, wo Wissen dahintersteckt. Und das muß ich sagen – wir alle haben Achtung davor!«
Schwester Angelika ging zur Tür. »Ich lasse Ihnen den Kaffee hier. Wenn Sie später«, sie schaute auf ihre Uhr, »vielleicht noch frischen Kaffee haben wollen, dann gehen Sie nur ins Dienstzimmer. Ich lasse etwas Pulverkaffee da. Und heißes Wasser können Sie sich mit einem Tauchsieder rasch zubereiten. Gute Nacht.«
Sie verließ das Zimmer. Ariane trank die Tasse leer, goß sich eine zweite Tasse ein und trank sie ebenfalls aus.
Es war erstaunlich, wie sie alle, mit denen sie in der kurzen Zeit in der Klinik in Berührung gekommen war, schon ins Herz geschlossen hatte. Sie fürchtete nur, daß sie alle verärgern würde, wenn sie erführen, daß sie sie an der Nase herumgeführt hatte. Heute ließ sich sowieso nichts mehr daran ändern, vielleicht fand sich morgen eine Gelegenheit, den Sachverhalt aufzuklären.
Der Unfallverletzte rührte sich. Sie beugte sich zu ihm nieder. »Herr Streiber!« rief sie, aber er reagierte nicht darauf.
VI
Dr. Theo Wagner fuhr zusammen. Jemand hatte ihn angestoßen. Verwirrt schaute er sich um. Er konnte im ersten Augenblick nicht erkennen, wo er war.
»Die Vorstellung ist aus. Sie müssen nach Hause gehen!« Eine Platzanweiserin stand neben ihm. Kopfschüttelnd schaute sie ihn an, der sich nun langsam erhob.
»Entschuldigen Sie, ich muß eingeschlafen sein.«
»Sie scheinen nicht nur eingeschlafen zu sein, Sie sind es wirklich! Aber nun muß ich Sie leider rausschmeißen.«
»Ist der Film schon lange aus?«
»Nein, eben sind die letzten Besucher gegangen. Da sah ich Sie und weckte Sie.«
Oberarzt Wagner trat an die Kasse. Die Kassiererin war damit beschäftigt, abzurechnen und das Geld in einer Kassette zu verstauen. »Hat niemand nach mir gefragt?«
»Nach Ihnen gefragt?« Die Kassiererin schaute amüsiert den verschlafenen Besucher an. »Warum sollte jemand nach Ihnen fragen?«
»Ich hatte doch, als ich kam, Bescheid gesagt, daß Sie meine Klinik anrufen möchten. Ich bin Oberarzt Wagner.« Ein ungutes Gefühl befiel ihn.
»Sie hatten Bescheid gesagt?« Die Kassiererin überlegte, dann schlug sie sich gegen die Stirn. »Natürlich! Ich entsinne mich. Mein Gott, das habe ich ganz vergessen. Aber es war auch soviel zu tun, ich bin wirklich nicht dazu gekommen. Es tut mir leid.«
»Um Gottes willen!« Dr. Wagner stand mit hängenden Schultern vor der Kassiererin, die jetzt Dr. Wagners Karte gefunden hatte. »Da liegt noch der Zettel. Es tut mir wirklich leid.«
»Das ist entsetzlich! Ich bin Oberarzt an der Bergmann-Klinik und habe Nachtdienst. Wenn nun etwas passiert ist … Niemand weiß, wo ich bin.« Er überlegte einen Augenblick. Dann deutete er auf das Telefon. »Kann ich rasch anrufen?«
Die Kassiererin schaute auf ihre Uhr. Es sah aus, als ob sie ihm diese Bitte abschlagen wollte, doch als sie sein verzweifeltes Gesicht sah, stellte sie den Apparat nach vorn. »Bitte sehr!«
Oberarzt Wagner nahm den Hörer ab. Er wählte die Nummer der Bergmann-Klinik, verwählte sich erst einmal in der Aufregung, mußte auflegen und erneut die Nummer drehen.
Die Zentrale meldete sich.
»Hier spricht Oberarzt Wagner. Wissen Sie, ob man mich gesucht hat?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich verbinde einmal mit dem Nachtpfleger.«
Wieder mußte Wagner warten.
»Hier spricht Chiron.« Die Stimme des Pflegers klang müde.
»Oberarzt Wagner. Ich wollte mich nur erkundigen, ob etwas passiert ist. Man hat vergessen, Ihnen durchzugeben, wo ich zu erreichen bin.«
»Ob etwas passiert ist?« Die Stimme Chirons klang so laut, daß zwei Frauen, die neben dem Telefon standen, deutlich mithören konnten und Oberarzt Wagner erschrocken den Hörer vom Ohr abhielt. »Es ist eine ganze Menge passiert! Wir haben einen Schwerverletzten eingeliefert bekommen. Dr. Heidmann hat vergeblich versucht, Sie zu erreichen.«
»Ich komme sofort.« Oberarzt Wagner warf den Hörer auf die Gabel und rief ärgerlich: »Sehen Sie, das kommt davon! Da stirbt vielleicht ein Mensch, nur weil Sie so vergeßlich waren. Haben Sie gehört, was daraus passieren kann?«
Er stürmte davon und lief zur
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