Die Nacht zum Dreizehnten
ihn nicht bedauert, sondern ihn wie einen Gesunden behandelt. Wenn ich viel lamentiere, dann verstärke ich nur noch sein Krankheitsgefühl. Wenn ich ihn aber so behandele, als ob er nur leicht krank sei, dann nimmt er sein Schicksal auch nicht so tragisch. Aber was halte ich Ihnen da für Vorlesungen? Ich nehme an, das wissen Sie besser als ich.« Sie öffnete die Tür und deutete auf die Kaffeekanne, die unter einer Mütze auf dem Tisch stand. »Hunger haben Sie doch sicher auch?«
Ariane Quenstadt mußte lachen. »Wenn ich ehrlich sein will, habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Aber jetzt, wo Sie fragen, verspüre ich tatsächlich ein Hungergefühl.«
»Dann essen Sie ein Brötchen mit mir. Ich habe genug da!«
Sie holte aus dem Kühlschrank eine Butterdose, stellte sie auf den Tisch und deutete auf einen Korb, in dem Brötchen lagen. »Sie sind ganz frisch! Der Küchenchef schickt sie mir immer, sobald sie angekommen sind. Ich könnte ja eigentlich ins Schwesternkasino gehen, da bekommen Sie auch Ihr Frühstück und Ihr Mittagessen. Aber ich habe keine Lust, immer unter Frauen zu sitzen, die den gleichen Beruf ausüben wie ich. Die Gespräche sind so monoton. Man weiß genau, was die andere sagt. Da bleibe ich lieber hier und frühstücke allein – beziehungsweise jetzt mit Ihnen!«
Sie griff nach einem Brötchen, schnitt es durch und strich Butter darauf. »Bitte, bedienen Sie sich.«
»Wie spät ist es denn?« Schwester Ariane nahm ebenfalls ein Brötchen aus dem Korb. »Ich habe meine Uhr nicht dabei.«
»Sieben Uhr! Wir fangen immer sehr früh an. Die Patienten schimpfen zwar, wenn wir sie so früh wecken, aber es bleibt uns ja nichts weiter übrig, wenn wir den Dienst schaffen wollen. Wer in ein Krankenhaus geht, muß sich eben einem anderen Rhythmus anpassen. Der wird hier leider nicht durch den biologischen Lebensrhythmus bestimmt, sondern einfach durch den Schwesternmangel! Wenn wir genügend Personal hätten, könnten wir die Patienten auch bis acht oder neun Uhr schlafen lassen. Aber ehe wir auf einer so großen Station, wie diese es ist, einmal mit den Patienten durch sind, ist schon fast der ganze Vormittag herum. Und wenn die Herren dann zur Visite kommen, soll alles sauber sein, soll das Fieber gemessen und der Puls gezählt sein.«
Es schien der alten Schwester richtig gutzutun, daß sie einmal jemand hatte, dem sie ihr Schwesternleid klagen konnte.
»Aber was erzähle ich Ihnen das!« wiederholte Angelika. »An Ihrem Krankenhaus wird es nicht anders gewesen sein – oder?«
»Es ist wahrscheinlich dort nicht anders als hier«, antwortete Ariane etwas ausweichend. »Wann kommt denn Dr. Bruckner auf Station?«
»Ich schätze, in einer halben Stunde. Er ist immer sehr pünktlich und verlangt das auch von seinen Assistenten und uns. Sie können froh sein, daß Sie in Dr. Bruckners Abteilung gekommen sind!« Sie goß sich eine neue Tasse Kaffee ein. »In der Abteilung, wo Oberarzt Wagner waltet und schaltet, ist es nicht ganz so gemütlich wie hier. Haben Sie lange im St. Nepomuk-Krankenhaus gearbeitet?«
Ariane überlegte.
»An die zehn Jahre.«
»Ich nehme an, daß Sie im wesentlichen im OP tätig waren?« Schwester Angelikas blaue Augen ruhten forschend auf dem Gesicht der Mitschwester.
»Wieso meinen Sie das? Ach so –«, Ariane verstand, »weil ich die Thoraxpunktion durchgeführt habe. Ja«, Ariane hob lächelnd die Hand, »die habe ich ziemlich oft gesehen. An der Nepomuk-Klinik wird Unfallchirurgie großgeschrieben.«
»Stimmt! Wie sagt doch Oberarzt Wagner immer? Dieses Ekel, Professor Quenstadt, ist ja wohl darauf spezialisiert?«
Ariane hatte Mühe, ihr Lachen zu unterdrücken. Sie überlegte, was Schwester Angelika wohl sagen würde, wenn sie jetzt erführe, daß sie die Tochter dieses Ekels war! Einen Augenblick lang reizte sie der Gedanke, es zu sagen, aber dann unterließ sie es.
Schwester Angelika betrachtete sie mißtrauisch. »Lachen Sie über mich?«
»Aber ich bitte Sie, liebe Schwester Angelika, wie könnte ich das tun! Nein –«, sie suchte nach einer plausiblen Ausrede, die der Schwester ihre Heiterkeit erklären konnte, »ich mußte nur an Ihren Oberarzt Wagner denken, welches Gesicht er gestern machte, als er erfuhr, daß ich die Thoraxpunktion durchgeführt hatte, und daß es dem Patienten danach auch noch gutgeht. Er hätte mich am liebsten aufgefressen …«
»Das war komisch! Er machte ein Gesicht wie eine Kuh auf dem Mist, wenn es donnert.
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