Die Nacht zum Dreizehnten
dürfen! Ich glaube, wir sollten das respektieren. Soweit alles klar?«
Dr. Bruckner nahm Dr. Phisto das Stethoskop aus der Kitteltasche, stopfte die Oliven in seine Ohren und begann, den Brustkorb systematisch abzuhorchen. Er deutete auf die linke Seite.
»Hier ist die Lunge noch nicht ganz entfaltet. Es war ein Spannungspneu, sagten Sie?«
»Jawohl, Herr Dr. Bruckner.« Schwester Ariane hatte die ganze Zeit fragend dabeigestanden; jetzt sprach sie zum erstenmal.
»Es handelt sich um einen Mann«, begann sie zu berichten, »der anscheinend damit beauftragt war, die Pferde seines Herrn zu pflegen. Dabei hat ihn ein Tier so schwer getreten, daß diese schrecklichen Verletzungen entstanden sind.«
»Es ist schade, daß Sie nicht erreichbar waren, Herr Kollege!« Dr. Bruckner war auf den Flur hinausgegangen. Dr. Wagner folgte ihm wie ein begossener Pudel.
»Ja –«, er fuhr sich mit zitternder Hand durch sein schütteres Haupthaar. »Ich bin ins Kino gegangen und bin eingeschlafen …«
»Muß ja ein hochinteressanter Film gewesen sein!« warf Dr. Phisto grinsend dazwischen.
»Ach, einer von den modernen Filmen.« Man merkte es Oberarzt Wagner an, daß er glücklich war, weil jetzt das Thema gewechselt wurde. »Da kennt man sich ja nicht mehr aus. Alle diese Jungfilmer wälzen Probleme, mit denen ein normaler Mensch überhaupt nicht fertig wird.«
»Der normale Mensch wird ja nicht mal damit fertig –«, auf Dr. Phistos Gesicht erschien wieder ein Grinsen, »seine Telefonnummer durchzugeben.«
Theo Wagner wollte aufbrausen, aber Thomas Bruckner hob die Hand. »Wir wollten uns doch nicht streiten. Es ist alles bestens in Ordnung, und zwar, wenn ich recht verstanden habe –«, er deutete eine leichte Verbeugung vor Schwester Ariane an, »durch Ihre Hilfe! Man sollte Ihnen wirklich eine Station übergeben. Ich glaube, Sie würden sie besser leiten können als mancher unserer Ärzte.«
»Das ist Unsinn!« Oberarzt Wagner blieb vor dem Fahrstuhl stehen. »Jeder Pfleger hat auf einem bestimmten Gebiet ein Spezialwissen, mit dem er jeden Arzt schlagen kann. Er tut ja auch den ganzen Tag nichts weiter als –«, er überlegte, »zum Beispiel Gipsverbände anzulegen. Das kann Chiron wesentlich besser als ich. Das bedeutet aber nicht, daß Chiron nun auch operieren kann. Sie waren sicher lange auf einer Spezialabteilung tätig?« wandte er sich fragend an Ariane Quenstadt.
»Allerdings! Ich arbeite seit –«, sie überlegte, »mehr als zehn Jahren in einer unfallchirurgischen Abteilung.«
»Ach ja – ich entsinne mich – bei dem Ekel Quenstadt!« Dr. Wagner öffnete die Tür des Fahrstuhls, der inzwischen herbeigekommen war, und trat ein. Er hielt die Tür auf und wartete, daß die anderen ihm folgten, aber Thomas Bruckner winkte ab.
»Sie haben sicherlich nichts dagegen, wenn wir zu Fuß gehen. Wir laufen Treppen immer«, erklärte er lächelnd, als Wagner ihn erstaunt ansah. »Einmal ist Treppensteigen das beste Kreislauftraining, das wir kennen. Wir haben es zudem immer bei der Hand, und brauchen nicht einmal extra irgendwelche gymnastischen Übungen durchzuführen. Zum anderen aber vermeiden wir es –«, auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln, »nachts den Fahrstuhl zu benutzen, weil er doch starke Geräusche verursacht. Die meisten Kranken sind froh, wenn sie eingeschlafen sind. Da wollen wir sie nicht zusätzlich aufwecken. Bis morgen«, Bruckner nickte Wagner zu, der ihm irritiert nachschaute.
Als die anderen Personen ebenfalls zur Treppe gingen, ließ er achselzuckend die Tür des Fahrstuhls zufallen und fuhr nach unten.
»Sie müssen mir einmal etwas mehr über Ihre Arbeit erzählen!« Dr. Bruckner ging neben Ariane Quenstadt her. »Es ist erstaunlich, was Sie alles wissen. Aber –«, wandte er sich an Dr. Heidmann, der hinter ihnen die Treppe hinunterstieg, »einen Spannungspneu hätten Sie aber auch behandeln können. Das gehört doch zur Grundausbildung in der Medizin.«
»Er hätte es vielleicht auch getan«, versuchte Schwester Ariane Dr. Heidmann zu verteidigen. »Ich habe ihm nur keine Zeit dazu gelassen. Vielleicht habe ich etwas zu rasch gehandelt.«
»Bei einem Spannungspneu kann man nicht rasch genug handeln!« Sie verließen die Chirurgische Klinik und schritten durch den Rosengarten. Am Ausgang blieb Ariane stehen.
»Sie entschuldigen mich jetzt. Ich muß –«, sie zeigte auf das Schwesternhaus, das auf der anderen Seite des Parks lag, »dorthin! Hier trennen sich
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