Die Nachtwächter
verübten, hinter den schmutzigen Fenstern
kleiner Häuser. Aber »dem Volk« war er nie begegnet.
Personen, die auf der Seite »des Volkes« standen, wurden immer
enttäuscht. Sie stellten fest, dass das Volk undankbar war und
Bemühungen um die Befreiung desselben kaum zu schätzen wusste.
Hinzu kam die Neigung, weder modern zu denken noch gehorsam zu
sein. Das Volk war vielmehr engstirnig, konservativ und nicht sehr
intelligent. Es begegnete der Intelligenz sogar mit Argwohn. Deshalb
standen die Kinder der Revolution vor dem alten Problem: Sie hatten
nicht nur die falsche Regierung, sondern auch das falsche Volk.
Sobald man Leute wie Dinge sah, die sich einschätzen ließen, wurden
sie den Erwartungen nicht mehr gerecht. Was bald durch die Straßen
laufen würde, waren keine Revolutionäre oder Aufständische, sondern
ängstliche Menschen, die in Panik gerieten. Das geschah, wenn die
Maschine des Stadtlebens ausfiel, wenn sich die Zahnräder nicht mehr
drehten und al die kleinen Regeln versagten. Wenn das passierte, waren
Menschen schlimmer als Schafe. Schafe liefen einfach nur weg und
versuchten nicht, die anderen Schafe zu beißen.
Bei Sonnenuntergang verwandelte sich eine Uniform automatisch in
ein Ziel. Dann spielte es keine Rol e mehr, wo die Sympathien eines
Wächters lagen. Dann war er einfach nur ein weiterer Mann, der eine
Rüstung trug…
»Was?«, stieß Mumm hervor und kehrte ins Hier und Heute zurück.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Oberfeldwebel?«, fragte Korporal
Colon.
»Hmm?«, erwiderte Mumm, als die reale Welt zurückkehrte.
»Du warst weggetreten«, sagte Fred. »Hast ins Leere gestarrt. Du
hättest letzte Nacht richtig schlafen sol en.«
»Im Grab hat man jede Menge Zeit zu schlafen«, sagte Mumm und
musterte die Wächter.
»Ja, das habe ich gehört, Oberfeldwebel, aber niemand weckt einen
mit einer Tasse Tee. Ich habe die Männer Aufstel ung nehmen lassen.«
Fred hatte sich Mühe gegeben, wie Mumm deutlich sehen konnte.
Und auch die Männer selbst. Er hatte sie noch nie so… förmlich erlebt.
Normalerweise beschränkten sich die Gemeinsamkeiten auf einen Helm
und einen Brustharnisch pro Mann. Abgesehen davon unterschied sich
ihre Ausrüstung je nach ihren persönlichen Vorlieben. Doch heute
machten die Wächter einen ordentlichen Eindruck.
Das mit der Größe ließ sich leider nicht ändern. Die Inspektion einer
Truppe mit Wiggel am einen Ende und Nimmernich am anderen fiel
niemandem leicht. Wiggel war so klein, dass ihm einmal ein Feldwebel
Nabelstarren vorgeworfen hatte; für einen durchdringenden Blick in die
Augen benötigte er eine Leiter. Nimmernich hingegen wusste immer als
Erster, wenn es regnete. Man musste ein ganzes Stück zurücktreten, um
beide zu sehen, ohne die Augen zu verdrehen.
»Gut gemacht, Jungs«, brachte Mumm hervor und hörte, wie Rust die
Treppe herunterkam.
Vermutlich sah der neue Hauptmann seine Truppe jetzt zum ersten
Mal, und er hielt sich gut, wenn man die Umstände berücksichtigte. Er
seufzte nur.
Dann wandte er sich an Mumm und sagte: »Ich brauche etwas, auf
dem ich stehen kann.«
»Herr?«
»Ich möchte zu den Männern sprechen, um sie zu inspirieren und in
ihrer Entschlossenheit zu bestärken. Sie sollen den politischen
Hintergrund der derzeitigen Krise verstehen.«
»Oh, wir wissen, dass Lord Winder verrückt ist, Herr«, sagte Wiggel
fröhlich.
Auf Rusts Stirn hätte sich fast Raureif gebildet.
Mumm straffte sich. »Gruppe weeeggetreten!«, rief er und beugte sich
zu Rust, als die Männer forteilten. »Wenn ich dich kurz sprechen dürfte,
Herr…«
»Hat der Mann das wirklich gesagt?«, fragte Rust fassungslos.
»Ja, Herr. Es sind einfache Männer«, erwiderte Mumm und dachte
schnel . »Es dürfte besser sein, sie nicht zu beunruhigen, wenn du
verstehst, was ich meine.«
Rust fügte dies der Auswahl an Möglichkeiten hinzu. Mumm konnte
sehen, wie er überlegte. Es war ein Ausweg, und es passte zu Rusts
Meinung über die Wache. Es bedeutete, dass er nicht die Dreistigkeit
eines Obergefreiten, sondern nur die dumme Bemerkung eines
Einfaltspinsels gehört hatte.
»Sie kennen ihre Pflicht, Herr«, fügte Mumm bekräftigend hinzu.
»Ihre Pflicht besteht darin, das zu tun, was man ihnen sagt,
Oberfeldwebel.«
»Genau, Herr.«
Rust strich über seinen Schnurrbart. »Nun, dein Hinweis ist nicht
ganz ohne, Oberfeldwebel. Und du vertraust ihnen?«
»Ja, Herr, ich vertraue
Weitere Kostenlose Bücher