Die Nachtwächter
in
Frage.
Eine starke Hand. Banden, die sich in den Straßen herumtrieben. Wir
haben nie etwas gegen die Verbrecherbanden unternommen. Und wenn
es auf beiden Seiten Irre und Idioten gibt und alles auf Messers
Schneide steht… Probleme sind leicht zu finden, wenn genug Leute
danach Ausschau halten.
Eine der härtesten Lektionen im Leben des jungen Sam hatte darin
bestanden herauszufinden, dass sich die verantwortlichen Leute nicht
immer durch Verantwortungsbewusstsein auszeichneten. Und dass
Regierungen nicht immer aus Personen bestanden, die den Durchblick
hatten. Und dass die Leute oft handelten, ohne zu denken.
Die meisten Wächter warteten draußen bei den Stufen. Schnauzi
leistete gute Dienste bei der internen Kommunikation, wenn es um
schlechte Neuigkeiten ging.
»Macht euch zurecht, Jungs«, sagte Mumm. »Der Hauptmann kommt
gleich runter. Offenbar wird’s Zeit, Stärke zu zeigen.«
»Welche Stärke?«, fragte Billy Wiggel.
»Nun, Billy, es geht darum, dass die hinterhältigen Revolutionäre
einen Blick auf uns werfen und dann eiligst in ihre Löcher
zurückkriechen«, sagte Mumm und bedauerte seine Worte sofort. Billy
wusste mit Ironie nichts anzufangen.
»Es bedeutet, dass wir unsere Uniformen lüften«, übersetzte er.
»Wir kriegen Dresche«, sagte Fred Colon.
»Nicht, wenn wir zusammenhalten«, meinte Sam.
»Genau«, bestätigte Mumm. »Immerhin sind wir schwer bewaffnete
Männer und begegnen bei unserem Streifengang Zivilisten, von denen
das Gesetz verlangt, dass sie unbewaffnet sind. Wenn wir gut aufpassen
und Glück haben, werden wir viel eicht nicht zu sehr verletzt.«
Auch das war keine gute Idee. Sarkasmus sol te an Schulen gelehrt
werden, dachte Mumm. Außerdem konnten bewaffnete Männer in
Schwierigkeiten geraten, wenn die unbewaffneten Zivilisten zornig
genug waren – und wenn es genug Kopfsteine in der Nähe gab.
Er hörte, wie die fernen Glocken drei Uhr schlugen. An diesem
Abend, so vermutete er, würde es auf den Straßen heiß hergehen.
Nach den Geschichtsbüchern war ein Schuss der Auslöser, etwa
gegen Sonnenuntergang. Ein Infanterieregiment würde im Henne-und-
Küken-Feld auf Befehle warten, beobachtet von vielen Leuten.
Truppen zogen immer Zuschauer an: leicht zu beeindruckende junge
Männer, die üblichen Leute auf den Straßen und jene Frauen, deren
Zuneigung sehr käuflicher Natur war.
Später hieß es, dass es dort keine Menschenmenge hätte geben
dürfen. Aber wo denn sonst, wenn nicht im Henne-und-Küken-Feld?
Der Ort erfreute sich großer Beliebtheit, denn er war praktisch die
einzige grüne Stelle in der Stadt. Die Leute vergnügten sich dort, und
fast immer konnte man sich die eine oder andere Leiche am Galgen
ansehen. Ganz gewöhnliche Fußsoldaten – Söhne von Müttern und
Ehemänner – entspannten sich dort bei einem Gläschen.
O ja, das Gläschen… Später hieß es, dass die Soldaten betrunken
waren. Und dass sie nicht betrunken hätten sein dürfen. Genau das war
der Grund, überlegte Mumm. Niemand hätte dort sein sollen.
Aber sie waren dort, und als der Hauptmann mit einem Pfeil im Bauch am Boden lag und stöhnte, schossen einige Armbrustschützen in die
Richtung, aus der der Pfeil gekommen war. So stand es in den
Geschichtsbüchern. Sie schossen auf die Fenster, von denen aus Leute
zusahen. Viel eicht war der Pfeil von dort gekommen.
Einige Armbrustbolzen verfehlten das Ziel, andere nicht. Und einige
Leute erwiderten das Feuer.
Und dann geschahen schreckliche Dinge, eins nach dem anderen. Es
war bereits zu spät, um sie nicht geschehen zu lassen. Und dann entlud
sich die Spannung wie von einer Feder und jagte durch die Stadt.
Natürlich gab es Verschwörer, kein Zweifel. Einige von ihnen waren
gewöhnliche Leute, die einfach die Nase vol hatten. Manche waren
junge Leute ohne Geld, die etwas dagegen hatten, dass alte Leute mit
Geld die Geschicke der Welt bestimmten. Andere machten mit, weil sie
sich davon größere Chancen bei Frauen erhofften. Einige waren
Idioten, so verrückt wie Schwung, mit einer ähnlich starren und
unrealistischen Weltanschauung, Leute, die glaubten, auf der Seite »des
Volkes« zu stehen, wie sie es nannten. Mumm hatte sein ganzes Leben
auf der Straße verbracht und dabei nicht nur anständige Leute kennen
gelernt, sondern auch Narren und Halunken, die selbst einen Bettler
bestehlen würden, Leute, die jeden Tag stille Wunder wirkten oder
grässliche Verbrechen
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