Die Nachtwächter
Beobachter. Havelock wäre ihm gern begegnet oder
hätte sein Grab besucht, das sich allerdings irgendwo in einem Tiger
befand – ein Ort, den der Lord, zu seinem zufriedenen Erstaunen, erst
bemerkt hatte, als es bereits zu spät war.
Vetinari hatte ihm eine private Ehre erwiesen. Er hatte die
Gravierplatten von Einige Bemerkungen über die Kunst der Unsichtbarkeit gesucht, gefunden und eingeschmolzen.
Es war ihm auch gelungen, die anderen vier Exemplare des Buches zu
finden, brachte es aber nicht fertig, sie zu verbrennen.
Stattdessen hatte er sie in den Buchdeckeln von Anekdoten berühmter
Buchhalter, Band 3 zusammengebunden. Lord Grimmelich Greville-Pipus hätte das bestimmt zu schätzen gewusst.
Vetinari lag bequem auf dem Blei des Daches, geduldig wie eine
Katze, und beobachtete das Palastgelände.
Mumm lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Tisch im Wachhaus
und zuckte gelegentlich zusammen.
» Bitte halt still«, sagte Doktor Rasen. »Ich bin fast fertig. Du lachst vermutlich, wenn ich dir sage, dass du es ruhig angehen sollst.«
»Ha. Ha. Au!«
»Es ist nur eine Fleischwunde, aber du sol test dich trotzdem
schonen.«
»Ha. Ha.«
»Eine arbeitsreiche Nacht erwartet dich. Und wahrscheinlich auch
mich.«
»Hier bei uns sollte alles in Ordnung sein, wenn wir Barrikaden bis
zur Leichten Straße haben«, sagte Mumm und vernahm
aufschlussreiches Schweigen.
Er setzte sich auf und sah Rasen an. »Wir haben doch Barrikaden bis zur Leichten Straße, oder?«, fragte er.
»Das Letzte, das ich hörte, deutet darauf hin, ja«, sagte der Doktor.
»Das Letzte, das du gehört hast?«
»Nein, eigentlich stimmt das nicht ganz«, sagte Rasen. »Es wird
al es… größer, John. Das Letzte, das ich hörte, war: ›Warum an der
Leichten Straße aufhören?‹«
»Du meine Güte…«
»Ja, das dachte ich auch.«
Mumm zog die Hose an, schnal te den Gürtel um und hinkte auf die
Straße in einen Streit.
Rosie Palm, Sandra, Reg Schuh und ein halbes Dutzend andere saßen
an einem Tisch mitten auf der Straße. Als Mumm in den Abend trat,
hörte er eine klagende Stimme: »Man kann nicht für ›Liebe zum
vernünftigen Preis‹ kämpfen.«
»Man kann, wenn du mich und die anderen Mädchen an Bord haben
willst«, sagte Rosie. »›Frei‹ ist ein Wort, das wir in diesem
Zusammenhang nicht hören wol en.«
»Na schön«, erwiderte Reg und notierte etwas auf einem Klemmbrett.
»Gegen Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit gibt es aber nichts
einzuwenden, oder?«
»Und bessere Abwasserkanäle.« Das war die Stimme von Frau Rudolf.
»Und man sol te etwas gegen die Ratten unternehmen.«
»Ich glaube, wir widmen unsere Aufmerksamkeit besser wichtigeren
Dingen, Genossin Frau Rudolf«, sagte Reg.
»Ich bin keine Genossin, Herr Schuh, und auch Herr Rudolf ist kein
Genosse«, erklärte Frau Rudolf. »Wir bleiben immer unter uns, nicht
wahr, Rudi?«
»Ich habe eine Frage«, sagte jemand in der Zuschauermenge. »Ich bin
Harry Biegsam und habe ein Schuhgeschäft im Neuen
Flickschusterweg…«
Reg ließ sich gern von Frau Rudolf ablenken. An ihrem ersten Tag
sol ten es Revolutionäre nicht mit jemandem wie Frau Rudolf zu tun
bekommen.
»Ja, Genosse Biegsam?«, fragte er.
»Und wir sind auch keine Burschuadingsbums«, ergänzte Frau Rudolf,
die nicht so leicht locker ließ.
»Äh, Bourgeoisie«, sagte Reg. »Unser Manifest bezieht sich auf die
Bourgeoisie. Bur-schua-sie.«
»Bourgeoisie, Bourgeoisie«, murmelte Frau Rudolf und drehte das
Wort auf der Zunge hin und her. »Klingt gar nicht mal schlecht. Was,
äh, macht die Bourgeoisie?«
»Und Punkt sieben auf dieser Liste…«, fuhr Herr Biegsam fort.
»Du meinst die ›Erklärung des Volkes am Ruhmvollen
Vierundzwanzigsten Mai‹«, sagte Reg.
»Ja, meinetwegen… Hier steht, dass wir die Produktionsmittel unter
unsere Kontrolle bringen, so in der Art. Deshalb möchte ich gern
wissen: Was bedeutet das für meinen Laden? Ich meine, dort gibt es nur
Platz für mich, meinen Lehrling Garbut und vielleicht noch einen
Kunden.«
Mumm lächelte im Dunkeln. Reg sah nie, was sich anbahnte. »Also,
nach der Revolution geht al es in das Eigentum des Volkes über… äh…
das heißt, der Laden gehört auch al en anderen.«
Genosse Biegsam wirkte verwirrt. »Und ich bin nach wie vor
derjenige, der die Schuhe herstel t?«
»Natürlich. Aber alles gehört dem Volk.«
»Und… wer bezahlt dann für die Schuhe?«, fragte Herr Biegsam.
»Jeder
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