Die Nachtwächter
Aber gute Phantasie braucht noch etwas
mehr Zeit. Er beugte sich vor, und zwei Köpfe neigten sich ihm
erwartungsvol entgegen.
»Habt ihr Jungs schon euren Urlaub gehabt?«, flüsterte er. Nach
einigen Minuten, angefül t mit sehr kleinem Smalltalk, stand Mumm
auf, ging zur letzten Zel e, öffnete die Tür und packte Frettchen, der
sich in eine Ecke zu quetschen versuchte.
»Nein! Bitte! Ich sage euch alles, was ihr wissen wollt!«, heulte der
Mann.
»Wirklich?«, erwiderte Mumm. »Wie hoch ist die
Umlaufgeschwindigkeit des Mondes?«
»Was?«
»Hast du etwa leichte Fragen erwartet?«, brummte Mumm und zog
den Mann aus der Zelle. »Fred! Keule! Er will reden! Bringt ein
Notizbuch mit!«
Es dauerte eine halbe Stunde. Fred Colon schrieb nicht sehr schnell.
Als die schmerzlichen Geräusche seiner Bemühungen mit dem letzten
Punkt verklangen, sagte Mumm: »Na schön, mein Lieber. Und nun
schreibst du zum Schluss: Ich, Gerald Wenigstens, derzeit wohnhaft bei
der Lieblichkeitsgesel schaft Einsamer Männerherzen, mache diese
Aussage aus freiem Willen und nicht unter Zwang. Und dann
unterschreibst du. Oder sonst. Kapiert?«
»Ja, Herr.«
Die Initialen GW waren in den Dolch graviert gewesen. Mumm
glaubte ihnen. Im Lauf der Jahre hatte er viele Wenigstense kennen
gelernt: Al ein bei der Vorstel ung, dass man ihnen etwas antun könnte,
begannen sie vor Angst zu schlottern. Wer den Ingwerbier-Trick bei
jemand anderem gesehen hatte, würde alles zugeben.
»Nun«, sagte Mumm fröhlich und stand auf, »besten Dank für die
Zusammenarbeit. Sollen wir dich zur Ankertaugasse bringen?«
Frettchens Gesichtsausdruck sagte: »Häh?«
»Wir müssen deine Freunde absetzen«, fuhr Mumm fort und hob die
Stimme ein wenig. »Tottsi und Maffer. Den Toten bringen wir zur
Leichenhal e. Ein bisschen Papierkram für dich.« Er nickte Colon zu.
»Eine Kopie der Aussage. Ein Totenschein des Arztes für den
verstorbenen Herrn Geheimnisvoll, dessen Mörder wir bestimmt
finden. Eine Bescheinigung des Doktors für die Salbe, mit der er
Maffers Füße eingerieben hat. Oh… und eine Quittung für sechs
Flaschen Ingwerbier.«
Er legte die Hand auf Frettchens Schulter und führte ihn langsam in
den nächsten Keller, wo Tottsi und Maffer saßen, geknebelt und vol er
Zorn. Auf einem nahen Tisch stand eine Kiste mit sechs Flaschen
Ingwerbier. Die Korken waren mit Draht gesichert.
Frettchen starrte Mumm an, der den Finger in den Mund steckte, die
Wangen aufblähte und den Finger dann herausschnel en ließ – es
knallte laut.
Keule zischte.
Fred Colon öffnete den Mund, aber Mumm presste ihm schnel die
Hand darauf.
»Nein, bitte nicht«, sagte er. »Komische Sache, Gerald, aber Fred hier
schreit manchmal, einfach so.«
»Ihr habt mich reingelegt !«, heulte Frettchen.
Mumm klopfte ihm auf die Schulter »Reingelegt?«, knurrte er. »Wie
meinst du das, Gerald?«
»Ihr habt mich glauben lassen, dass ihr den Ingwerbier-Trick
anwendet.«
»Den Ingwerbier-Trick?«, fragte Mumm und runzelte die Stirn. »Was
ist das?«
»Das weißt du genau! Du hast das Zeug hierher gebracht!«
»Wir trinken keinen Alkohol im Dienst, Gerald«, sagte Mumm streng.
»Was gibt es an Ingwerbier auszusetzen? Wir kennen keine Tricks
damit, Gerald. Welche Tricks kennst du? Hast du in letzter Zeit
irgendwelche guten Tricks gesehen, Gerald?«
Frettchen begriff schließlich, dass er besser den Mund hielt. Diese
Erkenntnis kam etwa eine halbe Stunde zu spät. Tottsis und Maffers
Mienen brachten zum Ausdruck, dass sie gern ein Wörtchen mit ihm
reden würden.
»Ich bitte um Schutzhaft«, brachte er hervor.
»Obwohl ich dich gerade gehen lassen wollte, Gerald?«, erwiderte
Mumm. »Wie du in deiner Aussage betont hast… Wie lauteten die
Worte, Fred? Du hast nur deinen Befehlen gehorcht, nicht wahr? Du
wol test dich gar nicht unter die Leute mischen und Steine auf
Polizisten und Soldaten werfen, völlig klar. Und es gefiel dir nicht, in
der Ankertaugasse zu beobachten, wie Personen zusammengeschlagen
wurden und wie man ihnen sagte, was sie gestehen sol ten. Nein, zu den
Burschen gehörst du nicht, das sehe ich auf den ersten Blick. Du bist
ein kleiner Fisch. Ich schlage vor, wir sind quitt. Was meinst du?«
»Bitte! Ich erzähle dir alles, was ich weiß!«, quiekte Frettchen.
»Soll das heißen, du hast uns nicht alles gesagt, was du weißt?«, donnerte Mumm. Er drehte sich um und griff nach einer Flasche.
»Ja! Nein! Ich
Weitere Kostenlose Bücher