Die Nachtwächter
wirklich aus Pseudopolis?« Madame lächelte. »Ich
persönlich finde, dass es sich immer auszahlt, nicht von einem nahen
Ort zu kommen. Das macht das Leben viel einfacher. Aber ich bin
lange in Gennua gewesen, denn dort habe ich… geschäftliche
Interessen.« Sie lächelte erneut. »Und jetzt denkst du vermutlich ›alte
Näherin‹.«
»Eigentlich habe ich ›Maßschneiderei‹ gedacht«, erwiderte Mumm,
und die Frau lachte. »Aber mein wichtigster Gedanke war
›revolutionär‹.«
»Sprich nur weiter, Oberfeldwebel.« Madame stand auf. »Hast du was
dagegen, wenn ich mir ein wenig Sekt genehmige? Ich würde dir gern
ein Glas anbieten, aber du trinkst nicht, soweit ich weiß.«
Mumm blickte auf das bis zum Rand gefül te Whiskyglas. »Nur ein
kleiner Test«, sagte Madame und zog eine große Flasche aus einem
Eiskübel mit industrieller Kapazität.
»Du bist kein Feldwebel. Auch kein Oberfeldwebel – Rosie hat Recht.
Du bist Offizier gewesen. Und mehr als nur ein alter Offizier. Du
wirkst sehr gefasst, Oberfeldwebel Keel. Hier sitzt du, in einem großen Haus, im Boudoir einer Dame, in Gesel schaft einer Frau mit
fragwürdiger Tugend.« Madame leerte die Flasche in einen großen,
blauen Becher mit einem Teddybär. »Und du scheinst die Gelassenheit
selbst zu sein. Woher kommst du? Übrigens darfst du rauchen.«
»Ich komme von einem weit entfernten Ort.«
»Überwald?«
»Nein.«
»Ich habe… geschäftliche Interessen in Überwald«, sagte Madame.
»Leider wird die Situation dort instabil.«
»Oh, ich verstehe«, erwiderte Mumm. »Du möchtest deine
geschäftlichen Interessen, die eine bedeutungsvol e Pause verdienen,
auf Ankh-Morpork ausweiten, falls die hiesige Situation stabilisiert
werden kann.«
» Sehr gut. Sagen wir: Ich glaube, dass diese Stadt eine wundervol e Zukunft hat, und ich würde gern daran teilhaben. Und du bist
erstaunlich scharfsinnig.«
»Nein«, sagte Mumm. »Ich bin ganz simpel. Ich weiß nur, wie die
Dinge funktionieren. Ich folge nur dem Geld. Winder ist ein Irrer, und
so was ist nicht gut fürs Geschäft. Seine Spezis sind Verbrecher, und so
was ist auch nicht gut fürs Geschäft. Ein neuer Patrizier braucht neue
Freunde, Personen mit Weitblick, die an einer wundervol en Zukunft
teilhaben möchten. An einer, die gut fürs Geschäft ist. So läuft das.
Treffen in Zimmern. Ein wenig Diplomatie, einige Kompromisse, ein
Versprechen hier, eine Vereinbarung dort. So laufen echte
Revolutionen. Der Kram in den Straßen ist nur Schaum…« Mumm
nickte in Richtung der Doppeltür. »Gäste zum späten Abendessen? Das
war Doktor Fol etts Stimme. Ein kluger Mann, so hieß es – so heißt es
von ihm. Er wird sich für die richtige Seite entscheiden. Wenn du die
Unterstützung der großen Gilden hast, ist Winder bereits so gut wie tot.
Aber Schnappüber nützt euch kaum was.«
»Viele Leute setzen große Hoffnungen in ihn.«
»Was glaubst du?«
»Ich halte ihn für einen intriganten, selbstsüchtigen Narren. Aber
derzeit gibt es keinen besseren Mann. Und wo kommst du ins Spiel,
Oberfeldwebel?«
»Ich? Ich halte mich raus. Du hast nichts, das für mich von Interesse
wäre.«
»Du willst nichts ?«
»Oh, ich wünsche mir viele Dinge, Teuerste. Aber du kannst sie mir
nicht geben.«
»Wie wäre es, wieder das Kommando zu führen?«
Die Frage traf ihn wie ein Hammer. Dies war Geschichte. Die Frau
konnte unmöglich Bescheid wissen.
»Ah«, sagte Madame, die Mumms Gesichtsausdruck beobachtet hatte.
»Rosemarie meinte, Diebe hätten dir eine sehr teure Rüstung
abgenommen. Einem General angemessen, wie ich hörte.«
Sie hielt den Blick auf Mumm gerichtet, als sie eine zweite Flasche
öffnete. Und zwar auf korrekte Weise, wie Mumm trotz des Schocks
feststellte. Nicht das dilettantische Theater mit fliegenden Korken und
vergeudeten Bläschen.
»Wäre das nicht seltsam, wenn es der Wahrheit entspräche?«,
überlegte Madame. »Ein Straßenkämpfer mit dem Gebaren eines
Kommandeurs und dem Brustharnisch eines Anführers.«
Mumm blickte starr geradeaus.
»Und wer muss wissen, wie er hierher gekommen ist?«, fragte
Madame die leere Luft. »Wir könnten der Ansicht sein, dass du dich
dafür eignest, das Kommando über die Stadtwache zu führen.«
Der erste Gedanke, der wie Sekt in Mumms Kopf sprudelte, lautete:
Meine Güte, ich könnte es schaffen! Ich könnte Schwung
rausschmeißen, einige anständige Feldwebel befördern…
Der zweite
Weitere Kostenlose Bücher