Die Nachtwächter
sehen und lernen, Herr Kastanie, wir sehen und lernen.« Vetinari schrieb seinen Namen in das Buch und schraubte den Federhalter wieder zu. »Und wie geht es deinem kleinen Jungen?«
»Danke der Nachfrage, Herr, es geht ihm viel besser«, sagte der Pförtner.
»Freut mich, das zu hören. Oh, wie ich sehe, ist der Ehrenwerte Johann Blutgut unterwegs, um einen Auftrag auszuführen. Im Palast?«
»Na, na, Herr«, sagte Kastanie und winkte mit dem Zeigefinger. »Du weißt doch, dass ich darüber keine Auskunft geben kann, selbst wenn ich Bescheid wüsste.«
»Natürlich nicht.« Vetinari sah zur Rückwand des Büros, wo Umschläge in einem Messingestell steckten. Ganz oben an dem Gestell stand »Aktiv«.
»Guten Tag, Herr Kastanie.«
»‘n Tag, Herr. Gutes, äh, Auskundschaften.«
Der Pförtner sah dem jungen Mann nach, als er auf die Straße trat. Dann ging er in das Kämmerchen neben dem Büro, um den Kessel aufzusetzen.
Er mochte den jungen Vetinari, der still und lernbegierig war und, bei manchen Gelegenheiten, recht großzügig sein konnte. Allerdings erschien er ihm auch ein wenig seltsam. Einmal hatte Kastanie ihn im Foyer dabei beobachtet, wie er ganz still stand. Mehr machte er nicht. Er unternahm nicht den geringsten Versuch, sich zu verbergen. Nach einer halben Stunde war Kastanie zu ihm gegangen und hatte gefragt: »Kann ich dir helfen, Herr?«
Und Vetinari hatte geantwortet: »Danke, nein, Herr Kastanie. Ich bringe mir nur bei, ganz still zu stehen.«
Solch eine Antwort ließ keinen vernünftigen Kommentar zu. Nach einer Weile musste der junge Mann gegangen sein, denn Kastanie erinnerte sich nicht daran, ihn an dem Tag noch einmal gesehen zu haben.
Er hörte ein Knarren aus dem Büro und blickte um die Ecke. Niemand war da.
Als er den Tee kochte, glaubte er, nebenan ein Rascheln zu hören. Er sah im Büro nach und stellte fest, dass es völlig leer war. Es schien sogar noch leerer zu sein als sonst, wenn sich einfach nur niemand darin aufhielt.
Er kehrte zu dem Lehnsessel im Kämmerchen zurück und entspannte sich.
Im Messinggestell rutschte der Briefumschlag mit der Aufschrift »Blutgut, J.« ein wenig zurück.
Explosionen krachten, und zwar ziemlich viele. Feuerwerkskörper knallten überall auf der Straße. Tambourine schlugen, und ein Horn schmetterte einen Ton, wie er in der Natur nicht vorkam. Mönche tanzten um die Ecke und sangen aus vollem Hals.
Mumm sank auf die Knie und bemerkte Dutzende von Füßen in Sandalen, die an ihm vorbeisausten, und außerdem wehende schmutzige Umhänge. Rust rief den Tänzern, die lächelten und fröhlich winkten, etwas zu.
Etwas Silbernes landete auf dem Boden.
Und dann waren die Mönche fort, tanzten durch eine Gasse, riefen und drehten sich, schlugen dabei ihre Gongs aneinander…
»Verdammte Heiden!«, schnaufte Rust und trat vor. »Hat dich etwas getroffen, Oberfeldwebel?«
Mumm bückte sich und griff nach dem silbernen Rechteck.
Ein Stein prallte von Rusts Brustharnisch ab. Als er sein Sprachrohr hob, traf ihn ein Kohlkopf am Knie.
Mumm starrte auf das Objekt in seiner Hand. Es war ein Zigarrenetui, schmal und ein wenig gewölbt.
Er öffnete es mit zitternden Fingern und las:
Für Sam, in Liebe von deiner Sybil.
Die Welt bewegte sich. Aber jetzt fühlte sich Mumm wie ein Schiff, das am Anker hing. Am anderen Ende der Leine sorgte der schwere Anker dafür, dass das Schiff den Bug in die Strömung drehte.
Ein Hagel aus Wurfgeschossen flog über die Barrikade. Mit Dingen zu werfen war ein alter Brauch in Ankh-Morpork, und Rust hatte etwas, das ihn zum Ziel machte. Mit einem Rest von Würde hob er erneut sein Sprachrohr und kam so weit wie »Hiermit warne ich euch…«, bevor ein Stein es ihm aus der Hand schlug.
»Na schön«, brummte er und marschierte steifbeinig zur Truppe zurück. »Oberfeldwebel Keel, befiehl den Männern, mit ihren Armbrüsten zu schießen. Eine Pfeilsalve, über die Barrikade hinweg.«
»Nein«, sagte Mumm und stand auf.
»Ich kann nur annehmen, dass du nicht richtig bei dir bist« sagte Rust. »Männer, bereitet euch darauf vor, meinen Befehl auszuführen.«
»Der erste Mann, der schießt, wird von mir niedergeschlagen«, sagte Mumm. Er rief nicht. Er wies einfach nur darauf hin, was die Zukunft bringen würde.
Rusts Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er musterte Mumm von Kopf bis Fuß.
»Ist dies Meuterei?«, fragte der Hauptmann.
»Nein. Ich bin kein Soldat, Herr. Daher kann ich auch nicht
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