Die Nachtwächter
mehr an den Seilen und Leitern hingen. Er hörte Rufe und Stöhnen weiter unten, aber die Männer, die noch stehen konnten, wichen in sichere Entfernung zurück.
Ich würde in die Keller der Häuser rechts und links von dieser Straße gehen, dachte Mumm. Ankh-Morpork ist voller Keller. Ich hätte dünne Wände durchbrochen, um meine Leute unbemerkt in die Keller auf
dieser
Seite der Barrikade zu bringen.
Aber gestern Abend habe ich die Anweisung gegeben, alle Kellereingänge zuzunageln und zu versperren, und deshalb habe ich gar nicht die Möglichkeit, gegen mich selbst anzutreten.
Er sah durch eine Lücke in den Brettern der Brustwehr und stellte erstaunt fest, dass ein Mann vorsichtig an Trümmern und Stöhnenden vorbeitrat. In der einen Hand hielt er eine weiße Fahne, und gelegentlich blieb er stehen, um damit zu winken. Allerdings verkniff er sich dabei ein »Hurra!«
Als er der Barrikade ganz nahe war, rief er: »Hallo?« Hinter den Brettern schloss Mumm kurz die Augen.
Bei den Göttern,
dachte er.
»Ja?«, rief er nach unten. »Können wir dir helfen?«
»Wer bist du?«
»Oberfeldwebel Keel von der Nachtwache. Und du?«
»Oberleutnant Harrap. Äh… wir bitten um einen kurzen Waffenstillstand.«
»Warum?«
»Äh… damit wir uns um die Verwundeten kümmern können.«
Die Regeln des Krieges, dachte Mumm. Das Feld der Ehre.
»Und dann?«, fragte er.
»Wie bitte?«
»Was geschieht danach? Kämpfen wir weiter?«
»Äh… hat dir niemand davon erzählt?«, fragte der Oberleutnant.
»Wovon?«
»Wir haben es gerade erfahren. Lord Winder ist tot. Lord Schnappüber ist der neue Patrizier.«
Die Verteidiger auf der Barrikade jubelten, und die anderen unten auf der Straße stimmten mit ein. Mumm fühlte Erleichterung in sich emporsteigen. Aber er wäre nicht Mumm gewesen, wenn er die Dinge ruhen gelassen hätte.
»Möchtest du, dass wir die Seiten wechseln?«, rief er dem Oberleutnant zu.
»Äh… wie bitte?«
»Ich meine, habt ihr Lust, die Barrikade zu verteidigen, damit wir versuchen können, sie zu stürmen?«
Mumm hörte das Gelächter der Verteidiger.
Der junge Mann zögerte. »Äh… warum?«, fragte er schließlich.
»Wenn ich mich nicht sehr irre, sind wir jetzt die loyalen Anhänger der offiziellen Regierung, und ihr seid der rebellische Rest einer verrufenen Verwaltung. Habe ich Recht?«
»Äh… ich glaube, wir hatten, äh, legitime Befehle…«
»Hast du von einem gewissen Hauptmann Schwung gehört?«
»Äh…ja.«
»Er glaubte ebenfalls, legitime Befehle erhalten zu haben«, sagte Mumm.
»Äh… ja?«
»Mann, war er überrascht. Na schön. Ein Waffenstillstand. Wir sind einverstanden. Braucht ihr Hilfe? Wir haben hier einen guten Doktor. Bisher sind mir noch keine Schreie zu Ohren gekommen.«
»Äh… danke, Herr.« Der junge Mann salutierte. Mumm erwiderte den militärischen Gruß.
Dann entspannte er sich und sah zu den Verteidigern. »In Ordnung, Jungs«, sagte er. »Ich schätze, das war’s. Ihr könnt ausruhen.«
Er kletterte die Leiter hinunter. Vorbei. Alles überstanden. Glockengeläut, Freudentänze in den Straßen…
»Oberfeldwebel, sollen wir den Soldaten wirklich bei ihren Verwundeten helfen?«, fragte Sam, der unten neben der Leiter stand.
»Es ergibt ebenso viel Sinn wie alles andere«, erwiderte Mumm. »Es sind Leute aus der Stadt, genau wie wir. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie die falschen Befehle bekommen haben.« Und es bringt in ihren Köpfen alles durcheinander, dachte er. Sie fragen sich, warum dies alles geschehen ist…
»Aber… Nimmernich ist tot, Oberfeldwebel.«
Mumm atmete tief durch. Er hatte es gewusst, dort oben auf dem wackligen Wehrgang, aber es laut zu hören war trotzdem ein Schock.
»Ich schätze, es gibt auch einige Soldaten, die den Morgen nicht überleben werden«, sagte er.
»Ja, aber sie waren der
Feind,
Oberfeldwebel.«
»Es lohnt sich immer, darüber nachzudenken, wer der Feind ist«, sagte Mumm und zog an der Barrikade.
»Zum Beispiel ein Mann, der versucht, einem sein Schwert in den Leib zu stoßen?«, fragte Sam.
»Das ist ein guter Anfang«, erwiderte Mumm. »Aber manchmal sollte man seine Aufmerksamkeit nicht zu sehr auf einen Punkt konzentrieren.«
Im Rechteckigen Büro presste Lord Schnappüber die Hände aneinander und klopfte mit den Zeigefingern gegen seine Zähne. Ziemlich viele Papiere lagen vor ihm.
»Was tun, was tun«, sagte er nachdenklich.
»Normalerweise gibt es eine Amnestie, Euer Exzellenz«,
Weitere Kostenlose Bücher