Die Nachtwächter
Ankertaugasse gehören nicht zu den Leuten, die den Vordereingang benutzen.«
Mumm öffnete die Tür zu den Zellen. Der Gefangene stand auf und griff nach den Gitterstäben.
»Na schön, sie sind gekommen, um mich abzuholen«, sagte er. »Wenn ihr mich jetzt sofort rauslasst, lege ich ein gutes Wort für euch ein.«
»Niemand ist gekommen, um dich abzuholen«, erwiderte Mumm. Er schloss die Haupttür hinter sich und öffnete dann die Zellentür.
»Vermutlich haben sie zu viel zu tun«, fuhr er fort. »Drüben bei den Tollen Schwestern soll ziemlich was los gewesen sein. Es gab einige Tote. Vielleicht dauert es noch eine Weile, bis deine Kollegen Zeit für dich erübrigen können.«
Der Mann sah zu der Werkzeugkiste in den Händen des Gefreiten. Es war nur ein kurzer Blick, aber Mumm bemerkte den Moment der Unsicherheit.
»Ich verstehe«, sagte er. »Guter Polizist, böser Polizist, wie?«
»Wenn du möchtest«, entgegnete Mumm. »Aber wir sind mit dem Personal ein wenig knapp. Also wenn ich dir eine Zigarette gebe – bist du dann so freundlich, dir selbst die Zähne einzuschlagen?«
»Dies ist ein Spiel, oder?«, fragte der Gefangene. »Du
weißt,
dass ich zur Sondergruppe gehöre. Und du bist neu in der Stadt und möchtest uns beeindrucken. Das ist dir gelungen. Wir haben alle schön gelacht, haha. Außerdem war ich nur zur Überwachung eingeteilt.«
»Ja, aber so funktioniert das nicht«, sagte Mumm. »Jetzt haben wir dich hier und können darüber entscheiden, was du verbrochen hast. Du weißt ja, wie das läuft. Möchtest du ein Ingwerbier?«
Das Gesicht des Mannes erstarrte.
»Weißt du, nach dem Aufruhr von heute Abend hat man uns darauf hingewiesen, dass es zu revolutionären Angriffen auf die Wachhäuser kommen könnte«, sagte Mumm. »Ich persönlich rechne nicht damit. Ich erwarte eher, dass einige ganz normale Leute kommen, weil sie gehört haben, was geschehen ist. Aber – und du kannst mich Herr Misstrauisch nennen, wenn du willst – ich habe das Gefühl, dass Unangenehmes geschehen könnte. Es heißt, wir sollten den Bestimmungen der Ausgangssperre Geltung verschaffen. Was vermutlich bedeutet: Wenn Leute kommen, um sich darüber zu beklagen, dass Soldaten unbewaffnete Bürger angegriffen haben, was ich persönlich für ›tätlichen Angriff mit einer tödlichen Waffe‹ halte…«
Oben entstand Unruhe. Mumm nickte dem jungen Sam zu, der die Treppe hinaufeilte.
»Da mein leicht zu beeindruckender Assistent jetzt weg ist, möchte ich dich noch auf Folgendes hinweisen«, sagte Mumm leise. »Wenn auch nur einem meiner Männer heute Nacht etwas zustößt, werde ich dafür sorgen, dass du für den Rest deines Lebens beim Anblick einer Flasche aufschreist.«
»Ich habe dir nichts getan! Du kennst mich nicht einmal!«
»Ja«, sagte Mumm. »Wir erledigen dies auf dir vertraute Weise.« Sam kehrte zurück. »Jemand ist in den Abort gefallen!«, meldete er. »Er war auf das Dach geklettert, und es hat nachgegeben!«
»Das muss eins der revolutionären Elemente gewesen sein«, sagte Mumm und beobachtete das Gesicht des Gefangenen. »Man hat uns vor ihnen gewarnt.«
»Der Mann behauptet, er käme aus der Ankertaugasse, Oberfeldwebel!«
»Genau das würde ich sagen, wenn ich ein revolutionäres Element wäre«, meinte Mumm. »Na schön, werfen wir einen Blick auf den Burschen.«
Oben stand die Tür noch offen. Draußen lungerten einige Leute am Rand des von den Laternen erhellten Areals herum. Drinnen trat Feldwebel Klopf vom einen Bein auf das andere und wirkte ganz und gar nicht glücklich.
»Wer hat angeordnet, dass alles offen sein soll?«, fragte er. »Draußen auf den Straßen sieht’s übel aus! Es ist gefährlich…«
»Die Anordnung stammt von mir«, sagte Mumm und kam die Treppe hoch. »Gibt es ein Problem, Feldwebel?«
»Nun… Oberfeldwebel, auf dem Weg hierher habe ich gehört, dass man Steine auf das Wachhaus in der Düstergutstraße wirft«, sagte Klopf und wirkte ein wenig eingeschüchtert. »Leute sind auf den Straßen! Pöbel! Mir graut bei der Vorstellung, was in anderen Teilen der Stadt geschieht.«
»Und?«
»Wir sind Polizisten! Wir sollten uns vorbereiten!«
»Auf was? Schlägst du vor, die Fensterläden zu schließen und dem Prasseln von Steinen zu lauschen?«, fragte Mumm. »Oder sollen wir losgehen und alle verhaften? Meldet sich jemand freiwillig? Nein? Ich sag dir was, Feldwebel: Wenn du Polizist sein willst, dann verhafte den Mann im Abort. Wegen Einbruch
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