Die nächste Begegnung
eine Weile. »Ich kann dir nicht ganz folgen, Malcolm«, sagte sie schließlich. »Was für ein Gefallen ist es denn?«
Malcolm atmete heftig durch. »Es muss was Ernsteres sein, Eponine. Er will, dass ich sofort hingehe ... Würdest du mitkommen?«
»Jetzt?« Eponine warf einen Blick auf die Uhr. »Es ist fast elf in der Nacht!« Und urplötzlich fiel ihr ein, dass Kimberly sich beklagt hatte, dieser Dr. Turner sei ein echter >Workaholic<, genauso besessen wie diese schwarzen Roboter-Schwestern. Aber Eponine erinnerte sich auch an das verwirrende Blau von Dr. Turners Augen.
»Also schön«, sagte sie zu Malcolm, »wir treffen uns in zehn Minuten am Bahnhof.«
Sie war bisher nachts noch kaum aus dem Haus gegangen. Seitdem sie als Lehrerin angestellt war, hatte sie abends meistens ihren Unterricht vorbereitet. Einmal, an einem Samstag, war sie abends mit Kimberly, Toshio Nakamura und einer Reihe andrer Leute in ein neueröffnetes japanisches Restaurant gegangen. Aber das Essen war ihr unvertraut, die Gesellschaft überwiegend Asiaten, und mehrere der Männer hatten zu viel getrunken und dann erbärmlich plumpe Annäherungsversuche gemacht. Kimberly hatte sie heruntergeputzt, sie sei »pingelig und hochnäsig«, aber danach hatte Eponine weitere derartige Einladungen ihrer Mitbewohnerin abgelehnt.
Sie kam vor Malcolm an der Bahnstation an. Während sie wartete, betrachtete sie verblüfft, wie stark das Village sich durch die Anwesenheit der menschlichen Bewohner verändert hatte. Also, wie war das noch, dachte sie, die Pinta kam hier vor vier Monaten an. Und die Ninha fünf Wochen später. Und überall gibt es bereits Geschäfte und Boutiquen. Hier am Bahnhof und drüben im Village auch. Die zwangsläufigen Begleiterscheinungen menschlicher Existenz, dachte sie. Wenn wir hier ein, zwei Jahre lang hausen, wird man diese Kolonie nicht mehr von einem x-beliebigen Kaff auf der Erde unterscheiden können.
Unterwegs war Malcolm vor Nervosität recht redselig. »Ich weiß, es ist das Herz, Eponine«, sagte er. »Seit Walters Tod hab ich da immer wieder so einen stechenden Schmerz gespürt. Zuerst glaubte ich, ich bilde mir das nur ein ...«
»Mach dir keine Sorgen«, tröstete sie ihren Freund. »Ich wette, es ist nichts Ernstes.«
Es fiel Eponine schwer, die Augen offen zu halten. Es war nach drei Uhr nachts. Malcolm schlief auf der Bank neben ihr. Was treibt dieser Doktor denn ? Er hat doch gesagt, er kommt gleich wieder.
Kurz nach ihrem Eintreffen in der Klinik hatte Dr. Turner Malcolm mit einem Computerstethoskop untersucht und dann gesagt, er müsse »umfassendere Tests« vornehmen, und Malcolm in eine andere Abteilung mitgenommen. Eine Stunde später war Malcolm ins Wartezimmer zurückgekehrt. Eponine hatte den Arzt nur kurz ganz zu Beginn zu Gesicht bekommen.
»Bist du Mister Peabody?«, fragte die Stimme. Eponine musste eingeschlummert sein. Als sie klar sehen konnte, starrten diese wunderschönen blauen Augen sie aus einem Meter Entfernung an. Dr. Turner wirkte zugleich müde und bedrückt.
»Ja«, sagte Eponine leise, um den Schlafenden an ihrer Schulter nicht zu stören.
»Er wird sehr bald sterben«, sagte der Arzt. »Wahrscheinlich im Verlauf der nächsten zwei Wochen.«
Sie spürte, wie das Blut schneller durch ihren Körper pulste. Habe ich das richtig gehört?, dachte sie. Hat er wirklich gesagt, Malcolm muss in zwei Wochen sterben ? Eponine war wie betäubt.
»Er wird eine Menge Hilfe brauchen.« Der Arzt schwieg und starrte Eponine an. Versuchte er sich zu erinnern, wo er sie schon einmal gesehen hatte? »Wirst du sie ihm geben können?«
»Ich ... ich hoffe es«, stammelte Eponine.
Malcolm bewegte sich. »Wir müssen ihn jetzt wecken«, sagte der Arzt.
In seinen Augen war keine Spur von Gefühl zu entdecken. Er hatte seine Diagnose, nein, sein Verdikt völlig ungerührt abgegeben. Kim hat recht, dachte Eponine. Er ist genauso ein Automat wie diese Tiasso-Roboter.
Auf Dr. Turners Vorschlag hin begleitete sie Malcolm hinüber zu einem Raum voller medizinischer Instrumente. »Wer die Ausrüstung auf der Erde ausgewählt hat, die wir mitgebracht haben«, sagte Dr. Turner zu Malcolm, »muss recht intelligent gewesen sein. Zwar haben wir zu wenig Personal, aber unsere Diagnosemöglichkeiten sind hervorragend.«
Die drei traten an einen transparenten Kubus von etwa einem Meter Seitenlänge. »Dieser erstaunliche Apparat«, sagte der Arzt, »ist ein Organ-Projektor. Er kann mit großer
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