Die nächste Begegnung
ungeduldig herum. »Kim«, sagte Eponine, »es tut mir leid, aber ich kann mich einfach nur schwer darauf konzentrieren, was für eine Wohnung wir nehmen sollen, wenn so viel andre Sachen mit uns passieren.
Was ist das hier eigentlich für ein Ort? Wo sind wir? Und warum sind wir hier?« Ihre Gedanken flogen zurück zu jenem unglaublichen Briefing vor drei Tagen, bei dem Commander Macmillan sie unterrichtet hatte, dass sie sich in Innern eines Raumschiffes befänden, das von Außerirdischen gebaut und ausgestattet wurde — »zum Zweck der Beobachtung von Erdlingen«.
Kimberly Henderson zündete sich eine Zigarette an und stieß den Rauch heftig aus. Sie zuckte die Achseln. »Eponine«, sagte sie. »Ich weiß auch keine Antworten auf solche Fragen ... Aber ich weiß, wenn wir nicht bald eine Wohnung wählen, wird für uns bloß der schäbige Rest übrig sein, den keiner sonst haben wollte.«
Eponine schaute ihre Freundin lang an. Dann seufzte sie. »Ich fi nde, das ganze Verfahren ist nicht sehr fair«, jammerte sie. »Die Passagiere von der Pinta und der Ninha konnten sich alle die besten Wohnungen schon schnappen, ehe wir überhaupt gelandet waren. Und uns zwingen sie, uns von dem Ausschuss was zu nehmen.«
»Aber was haste denn erwartet?«, zischte Kimberly sofort zurück. »Wir waren alle Sträflinge auf unserm Schiff ... na klar haben sie für uns den schäbigen Rest aufgehoben. Aber immerhin sind wir jetzt endlich frei.«
»Also möchtest du hier in diesem Apartment leben, nehm ich an?«, sagte Eponine schließlich.
»Ja. Und ich will außerdem auch auf die andern zwei ein Gebot machen, die wir heut früh beim Hakone-Markt besichtigt haben, für den Fall, dass wir bei dem hier ausgestochen werden. Wenn wir bis zur Ziehung heut Abend keine feste Bleibe haben, dann, fürchte ich, stehen wir wirklich ziemlich bekackt da.«
Es war ein Fehler, dachte Eponine und schaute hinter Kimberly her, die durch das Zimmer stapfte. Ich hätte mich nie da rauf einlassen dürfen, mit ihr zusammenzuwohnen. Aber welche andre Wahl hatte ich denn ? Was es an freien Löchern für Singles noch gibt, ist eine bodenlose Unverschämtheit.
Eponine war rasche Veränderungen in ihrem Leben nicht gewohnt. Anders als Kimberly, die enorm vielseitige Erfahrungen gemacht hatte, ehe sie mit neunzehn Jahren wegen Mordes verurteilt wurde, waren Eponines Kindheit und Jugend relativ behütet verlaufen. Sie wuchs in einem Waisenhaus am Stadtrand von Limoges/Frankreich auf, und ehe Professor Moreau sie mit siebzehn zum ersten Mal nach Paris und in die großen Museen gebracht hatte, war sie noch nie aus ihrer heimatlichen Provinz herausgekommen. Ursprünglich war ihr die Entscheidung, sich für eine Stelle in der Lowell-Kolonie sehr schwergefallen. Doch vor ihr lag eine lebenslange Haftstrafe in Bourges, und der Mars bot ihr die Chance der Freiheit. Nach langem Überlegen entschloss sie sich kühn, der ISA ihre Bewerbung einzusenden.
Man hatte sie genommen, weil sie überdurchschnittliche akademische Leistungen aufzuweisen hatte, besonders in sämtlichen künstlerischen Bereichen, weil sie fließend Englisch sprach und eine musterhafte Strafgefangene war. Ihre Personalakte bei der ISA gab als bestgeeignete Berufstätigkeit in der Lowell-Kolonie >Lehrerin für Theater- und Bildende Kunst in Oberschulen< an. Trotz Schwierigkeiten im Verlauf der Beschleunigungsphase nach dem Abschied von der Erde hatte Eponine dann einen deutlichen Schub von adrenaliner Erregung erfahren, als im Aussichtsfenster der Santa Maria zum ersten Mal der Mars sichtbar wurde. Ein neues Leben auf einer neuen Welt erwartete sie dort.
Zwei Tage vor dem planmäßigen Termin hatten die Wachposten der ISA verkündet, dass das Raumschiff nicht, wie vorhergesehen, die Landungs-Shuttles einsetzen werde. Stattdessen, sagte man den Strä fl ingen an Bord, werde die Santa Maria einen kurzen Abstecher machen und an einer Raumstation in Marsumlaufbahn anlegen. Die Ankündigung hatte Eponine verwirrt und beunruhigt. Im Gegensatz zu den übrigen Passagieren hatte sie nämlich das ganze von ISA zur Verfügung gestellte Informationsmaterial für die Neokolonisten sorgfältig studiert, und darin war nirgendwo von einer Raumstation im Mars-Orbit die Rede gewesen.
Und erst nachdem Passagiere und Fracht ausgeladen und nach New Eden gebracht worden waren, hatte man Eponine und den andren Sträflingen gesagt, was wirklich los war. Aber auch nach Macmillans Enthüllung glaubten nur wenige, dass
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