Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die nächste Begegnung

Die nächste Begegnung

Titel: Die nächste Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
Vom Netzwerk:
schlafen sollen. Nach zwanzig Minuten jeder dieser Teilzeitsegmente erlöschen die winzigen Lichter am Tankdeckel über uns, und wir liegen in völliger Finsternis da bis fünf Minuten vor der beendigten Achtstunden-Periode.
    Der ganze hastige Beschleunigungswechsel, sagt Richard, erhöht unsere Fluchtgeschwindigkeit von der Sonne weg. Wenn das laufende Flugmanöver quantitativ und in derselben Richtung einen Monat lang durchgeführt wird, werden wir relativ zu unserem Sonnensystem mit halber Lichtgeschwindigkeit fliegen.
    »Und wohin fliegen wir?«, fragte Michael gestern.
    »Ist noch zu früh, darüber was zu sagen«, gab Richard zurück. »Bisher wissen wir nicht mehr, als dass wir mit 'ner phantastischen Geschwindigkeit abzischen.«
    Die Temperatur und Dichte der Flüssigkeit, in der wir im Tank schweben, wurden in jeder neuen Periode behutsam reguliert, und jetzt entsprechen sie ganz genau unseren Werten. Das Ergebnis ist, dass ich — wenn ich da so in der Finsternis schwebe — überhaupt nichts spüre, außer einer kaum merklichen nach unten gerichteten Kraft. Mein Kopf sagt mir immer, ich bin in einem Tank, unter Beschleunigung, umgeben von irgendeiner Flüssigkeit, die meinen Körper gegen die heftige Krafteinwirkung abschirmt, doch die fehlenden Sinneswahrnehmungen führen dann doch dazu, dass ich jegliches Körpergefühl verliere. Und dann setzen die Halluzinationen ein. Fast ist es, als wäre für meine Gesamtfunktion ein >normaler< sensorischer Gehirn-Input nötig, damit ich nicht ausklinke. Wenn weder Geräusche noch visuelle Eindrücke, noch Geschmacks- und Geruchswahrnehmungen, auch keine Schmerzempfindungen bis in mein Gehirn vordringen ... dann setzt dort eben >ungesteuerte Aktivität< ein.
    Vor zwei Tagen habe ich versucht, mit Richard über dieses Phänomen zu sprechen, aber er hat mich nur angeglotzt, als hätte ich den Verstand verloren. Er hatte nämlich keine Halluzinationen ... Er verbringt seine kostbare Zeit in der »Dämmerzone« (sein Ausdruck für die Periode ohne sensorischen Input, kurz vor dem Tiefschlaf) mit mathematischen Berechnungen und Beschwörungen irgendwelcher unendlich variabler Kartogramme der Erde ... oder sogar damit, dass er die sexuellen Höhepunkte seines Lebens nachvollzieht. Er bringt es tatsächlich fertig, sein Gehirn zu steuern, sein eigner Hirnmanager zu sein, auch ganz ohne Sensor- Inputs. Darum sind wir so verschieden voneinander. Mein Denkbewusstsein strebt nach selbständigem neuorientierten Ziel, wenn es nicht damit beschäftigt ist, Trivialarbeit zu leisten, wie es die Weiterverarbeitung der Milliarden von Informationsdaten ist, die aus sämtlichen anderen Körperzellen heranschießen.
    Die halluzinativen Erfahrungen beginnen gewöhnlich mit einem in der totalen Finsternis um mich herum auftauchenden farbigen, meist roten oder grünen Fleck. Während dieser größer wird, treten weitere Farben hinzu, oft Gelb, Blau und Purpur. Jede Farbe bildet ein eigenes unregelmäßiges Muster und breitet sich rasch über das Sichtfeld aus. Dann sehe ich mehr und mehr ein Kaleidoskopmuster aus leuchtenden Farben. Die Bewegung im Sichtfeld beschleunigt sich, bis ich am Ende Hunderte von Streifen und Klecksen zu einer einzigen rasenden Explosion verschmelzen sehe.
    Mitten in diesem Farbenaufruhr bildet sich stets ein kohärenter Bildeindruck heraus. Anfangs kann ich nicht genau sagen, was es ist, denn die Gestalt oder die Gestalten sind sehr klein, als befänden sie sich sehr, sehr weit weg. Wenn das Bild mir näher rückt, verändert es mehrfach die Färbung, und es kommen stärker die surrealen Akzente der Vision, aber auch mein innerliches Schreckensgefühl zur Geltung. In mehr als der Hälfte der Fälle zeigt das sich herauslösende Bild mir meine Mutter oder ein Wildtier, einen Geparden oder eine Löwin, die ich intuitiv als Verkleidungen meiner Mutter erkenne. Solange ich nur zuschaue und keinerlei Willensanstrengung unternehme, mit meiner Mutter in Kontakt zu treten, bleibt sie ein klar umrissener Teil in den wechselnden Bildvorstellungen. Wenn ich dagegen irgendwie versuche, mit ihr direkt Kontakt aufzunehmen, verschwindet sie — oder das sie repräsentierende Tier — sofort, und ich bleibe mit einem überwältigenden Gefühl der Verlassenheit und Ausgesetztheit zurück.
    Während einer der erst kürzlich gemachten Halluzinationserfahrungen lösten sich die Farbwogen zu geometrischen Mustern auf und die wiederum zu menschlichen Um ri ssen, die im Gänsemarsch

Weitere Kostenlose Bücher