Die nächste Begegnung
Farbmuster und abgehackte Bildsequenzen im Kopf. Zu dem Zeitpunkt begann ich mir Sorgen über meine geistige Gesundheit zu machen, und ich war — ganz offen gesagt — weit über die anfängliche Überwältigtheit hinaus. Aber obwohl die halluzinativen Eindrücke dann abrupt aufhörten, veranlasste mich die Erinnerung an ihre Intensität doch jedes Mal, äußerst wachsam und gespannt zu sein, wenn in den letzten paar Wochen im Tank-Himmel die Lichter gelöscht wurden.
Nach diesen ersten zehn Tagen hatte ich nur noch einmal eine derartige Vision — aber möglicherweise war es in Wirklichkeit ja auch nur ein extrem lebendiger Traum in einer normalen Schlafphase. Obwohl die Bildeindrücke dabei nicht so scharf wie bei den früheren Visionen waren, habe ich doch alle Einzelheiten behalten, und zwar wegen der Ähnlichkeit mit einem meiner halluzinativen Bruchstücke, während ich im vergangenen Jahr drunten in der Grube lag.
In diesem letzten Traum (oder der letzten Vision) saß ich mit meinem Vater an einem unbekannten Ort bei einem Konzert im Freien. Ein alter, würdiger Orientale mit einem langen, weißen Bart war ganz allein auf der Bühne und musizierte auf einem seltsamen Saiteninstrument. Anders jedoch als bei meiner Vision auf dem Grubengrund verwandelten sich mein Vater und ich hier nicht in kleine Vögel, die nach Chinon in Frankreich flogen. Der Körper meines Vaters verschwand vielmehr völlig, und es blieben nur seine Augen übrig. Und Sekunden später tauchten fünf weitere Augenpaare auf und bildeten über mir in der Luft ein Hexagon. Die Augen Omehs, des Senoufo-Stammeszauberers, erkannte ich sogleich, und die meiner Mutter, doch die anderen drei Augenpaare waren mir unbekannt. Die Augen an den Vertices, den Scheitelpunkten, starrten mich stetig, ohne zu blinzeln, an, als wollten sie mir eine Botschaft übermitteln. Und kurz bevor die Musik ausklang, hörte ich einen einzelnen, klar abgehobenen Laut: Mehrere Stimmen formten simultan ein Wort: >Gefahr<.
Woher stammten diese Halluzinationen und warum hatte von uns dreien nur ich sie? Auch Richard und Michael machten die Erfahrung des Verlusts ihrer Sinneswahrnehmungen, und sie gaben beide auch zu, dass irgendwelche >bizarren Muster< ihnen >vor dem Gesicht schwebten<; doch bei ihnen gab es niemals kohärente Bildabläufe. Wenn unsere Vermutung zutrifft, dass die Ramaner uns vermittels der winzigen Fäden, die unsern Körper umspannen, anfänglich ein paar chemische Substanzen injizierten, damit wir in der ungewohnten Umgebung (im Tank) schlafen könnten, wieso reagierte dann ich allein mit derart heftigen Visionen darauf?
Richard und auch Michael glauben darauf eine einfache Antwort zu haben: Dass ich nämlich >eine drogenlabile Person mit hyperaktivem Imaginationsvermögen< bin. Und damit wäre — was die zwei angeht — alles geklärt! Sie gehen der Sache nicht weiter nach, auch wenn sie höflich bleiben, wenn ich auf die zahlreichen ungeklärten Punkte bei meinen >Trips< verweise, aber es scheint sie nicht länger zu interessieren. Eine derartige Reaktion hätte ich von Richard erwarten können, bestimmt aber nicht von Michael!
Tatsächlich ist aber auch unser zuverlässiger Exgeneral Michael O'Toole seit seinen Erfahrungen im Tank nicht mehr völlig er selber. Es scheint ihn ganz klar irgendetwas anderes stark zu beschäftigen. Gerade heute früh bekam ich einen schwachen Eindruck davon, was in seinem Denken vorging.
Nachdem ich Michael minutenlang mit freundlich-drängenden Fragen genervt hatte, sagte er schließlich langsam: »Ich habe immer, ohne dass ich mir das bewusst eingestanden hätte, Gott mit jedem neuen Durchbruch in der Wissenschaft neu definiert und neu eingegrenzt. Es war mir gelungen, ein Begriffskonzept, das die Ramaner umfasste, in meinen katholischen Glauben zu integrieren, aber dabei habe ich nichts andres getan, als dass ich meine bornierte Definition von IHM, von Gott, ausweitete. Aber jetzt, wo ich mich an Bord eines Roboterraumschiffs befinde, das mit relativistischer Geschwindigkeit fliegt, sehe ich ein, dass ich Gott ganz von meinen Vorstellungsfesseln befreien muss. Erst dann kann ER die Allerhöchste Wesenheit aller Teilchen und Vorgänge im Universum sein.«
Die Herausforderungen, die mein Leben in der nahen Zukunft mir stellen wird, liegen sozusagen am extremen Gegenpol. Richard und Michael verbohren sich in tiefgründige Ideen — Richard auf dem Sektor Wissenschaft und Technik, Michael im Bereich der >Seele<. Zwar
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