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Die nächste Begegnung

Die nächste Begegnung

Titel: Die nächste Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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quer über mein Sichtfeld zogen. Omeh führte in einem leuchtend grünen Gewand die Prozession an. Die zwei Gestalten am Ende des Zuges waren Frauen, die Idole meiner Jungmädchenzeit: Johanna von Orleans und Eleanor d'Aquitaine. Sobald ich ihre Stimmen vernahm, löste sich der Zug auf, und die Szene verwandelte sich sofort. Ich war plötzlich in einem kleinen Ruderboot auf dem kleinen Ententeich, vom Frühnebel verhangen, bei unserem Landhaus in Beauvois. Ich fröstelte vor Angst und begann unbändig zu weinen. Johanna und Eleanor tauchten im Nebeldunst auf und versicherten mir, dass mein Vater Helena, die englische Herzogin, mit der er eine Ferienreise in die Türkei unternommen hatte, nicht heiraten werde.
    In einer andern Nacht folgte auf die Farbenouvertüre ein bizarres Theaterstück, das irgendwo in Japan spielte. Es gab nur zwei Figuren, die alle beide leuchtende, ausdrucksstarke Masken trugen. Der eine Mann, in westlicher Kleidung mit Krawatte, rezitierte Gedichte und besaß wundervoll klare, große Augen, die man durch seine freundliche Maske sehen konnte. Der andere sah aus wie ein Samurai-Krieger aus dem siebzehnten Jahrhundert. Seine Maske war ein erstarrtes höhnisches Grinsen. Er begann mich und seinen modern gekleideten Gegenspieler zu bedrohen. Am Ende schrie ich bei dieser Halluzination, denn die beiden Männer stießen in der Bühnenmitte aufeinander und verschmolzen zu einer einzigen Gestalt.
    Ein paar der stärksten Visionen hielten nur einige Sekunden lang an. In der zweiten oder dritten Nacht erschien mir ein nackter Prinz Hen ry , sein vibrierender, purpurroter Leib sichtbar in höchster Erregung, zwei, drei Sekunden lang mitten in einer anderen Halluzination, in der ich auf einer riesenhaften grünen Oktarachnide ri tt.
    Im Verlauf der gest ri gen Schlafperiode tauchten überhaupt keine Farben auf. Dann entdeckte ich, dass ich grässlichen Hunger hatte, und in der Finsternis erschien eine gigantische rosarote Mannamelone. Als ich mich anschickte, sie zu essen, stülpte sie plötzlich Beine aus, huschte davon und verschwand in unaufgelösten Farben.
    Ob irgendwas von dem allen etwas zu bedeuten hat? Kann ich von diesen scheinbar willkürlichen Sekreten meines ungesteuerten Gehirns etwas über mich selbst oder über mein Leben lernen?
    Der Streit über die Bedeutung von Träumen tobt nun schon seit fast drei Jahrhunderten und ist noch immer unentschieden. Ich habe den Eindruck, dass diese meine Halluzinationen sogar noch wirklichkeitsferner sind als >normale< Träume. Sie sind gewissermaßen entfernte Verwandte der zwei psychedelischen T ri ps, die ich früher gemacht habe, und jeder Versuch, sie logisch zu erklären, wäre absurd. Dennoch glaube ich aus irgendeinem Grund immer noch, dass in diesen wüsten, scheinbar zusammenhanglosen Ausbrüchen meines Gehirns einige fundamentale Wahrheiten verschlüsselt enthalten sind. Vielleicht kann ich aber nur einfach nicht akzeptieren, dass d as menschliche Gehirn überhaupt jemals völlig willkürlich funktionieren kann.
    22-07-2201
    Gestern hörte das Grundbeben endlich auf. Richard hatte es vorausgesagt. Als wir vor zwei Tagen zur gewohnten Zeit nicht wieder in den Tank mussten, schloss er korrekt, dass das Flugmanöver nun abgeschlossen sein musste.
    Also treten wir jetzt wieder in eine neue Phase unserer unglaublichen Odyssee ein. Richard informierte uns, dass wir nun mit über der halben Lichtgeschwindigkeit reisen; das bedeutet, wir durchrasen ungefähr alle zwei Sekunden eine Strecke, die der Entfernung Erde—Mond entspricht. Wir ziehen — mehr oder weniger — in Richtung Sirius, den hellsten echten Stern am Nachthimmel unseres Heimatplaneten. Wenn keine weiteren Manöver erfolgen, werden wir in zwölf Jahren in Siriusnähe ankommen.
    Ich fühle mich erleichtert, weil unser Leben nun wohl wieder etwas ortsangemessen ausgewogener verlaufen kann.
    Simone scheint die ausgedehnten Tauchperioden im Tank ohne erkennbare Schwierigkeiten überstanden zu haben, doch ich glaube einfach nicht, dass eine derartige Erfahrung an einem Säugling völlig spurlos vorbeigeht. Für sie ist es jetzt besonders wichtig, dass wir die feste Tagesroutine wiederaufnehmen.
    Wenn ich mal ein paar Minuten für mich habe, denke ich noch immer oft an diese lebhaften Halluzinationen während der ersten zehn Tage im Tank. Ich muss zugeben, ich war entzückt, als ich schließlich mehrere >Dämmerzonen< in völliger Absenz von Sinneswahrnehmungen durchstand, ohne wilde

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