Die nächste Begegnung
weit von dem >Freskensaal< entfernt lag. Seine Lektionen dauerten jeweils drei, vier Stunden, danach bekam er zu essen oder durfte schlafen. Manchmal, wenn er erneut in das Sanktum trat, wollte er einen Blick auf die teilweise noch unvollendeten Paneele der zweiten Hälfte des Wandbildes werfen. Doch dann wurden jeweils sofort die Lichter gelöscht. Offenbar wollten die Myrmis sichergehen, dass er zuerst seine Biologielektionen lernte.
Nach etwa zehn Tagen war auch die andre Hälfte der Bild- wand fertig. Er war betroffen, als er sie sich schließlich betrachten durfte. Besonders auffallend war die exakte Darstellung der zahlreichen Menschen und Avianer. Er selbst erschien dutzend Mal. Mit seinen langen Haaren und dem langen Bart, die beide bereits halb weiß waren, hätte er sich beinahe nicht erkannt. Man könnte mich für einen Propheten halten, so wie ich da aussehe, sagte er halb spöttisch zu sich, während er im Sanktum umherging.
Ein Teil der restlichen Paneele enthielt eine histo ri sche Zusammenfassung des Angriffs der Menschen auf das Habitat. Hier waren weit mehr Einzelheiten, als Richard bei seinem >Hirn-Film< im Geflecht gesehen hatte, aber er gewann keine wesentlich neuen Erkenntnisse. Aber er war aufs Neue tief bestürzt von den Scheußlichkeiten des anhaltenden Massakers.
Die Bilder lösten auch eine interessante Frage in ihm aus. Warum hatte man ihm diese Sachinhalte im Geflecht nicht direkt ins Bewusstsein übertragen und damit den Myrmi-Künstlern die Mühe erspart? Vielleicht ist das Geflecht ausschließlich ein Aufzeichnungsinstrument und zu Imaginationsleistungen nicht fä hig. Und es kann mir nur das zeigen, was eine einzelne Myrmikatze bereits gesehen hat.
Die letzten Bilder definierten ausdrücklich, worum die Myrmi-Gewebe-Geschöpfe Richard baten. Auf sämtlichen Tafeln, die ihn zeigten, trug er einen großen blauen Tragepack auf den Schultern: zwei breite Taschen vorn, zwei weitere auf der Rückseite, und in jeder eine Mannamelone. An den Seiten des Packs befanden sich noch zwei kleinere Taschen. In einer steckte eine etwa fünfzehn Zentimeter lange silbrige Röhre, die andere enthielt zwei kleine lederschalige Avianereier.
Was von Richard gewünscht wurde, war in laufender Folge aufgezeichnet. Er sollte den braunen Zylinder durch einen Ausgang auf Bodenniveau verlassen und im Grünbezirk jenseits des Rings weißer Gebäude und des schmalen Ringkanals ankommen. Dort würden ihn zwei Avianer zum Ufer des Grabens hinabgeleiten, wo ihn ein kleines Unterwasserboot aufnehmen sollte. Dieses würde unter der Walleinfassung des Moduls weg in weites Gewässer tauchen und am Gestade einer Insel mit zahlreichen Wolkenkratzern wieder aufsteigen.
Richard lächelte. Also gibt es hier das Zylindermeer und New York noch immer. Und ihm fiel ein, dass der Adler gesagt hatte, man vermeide in Rama unnötige Veränderungen. Vielleicht heißt das, dass auch die Weiße Kammer noch da ist.
Zusätzliche Bildinformationen um die Schilderung seines Reiseweges gaben weitere Details über Tiere und Pflanzen in der Grünregion, andere lieferten exakte Anweisungen für den Betrieb des U-Boots. Aber als Richard die ihm besonders wichtig scheinenden Informationen in seinen Portable-Comp aus der Newton zu kopieren versuchte, wurde sein MyrmiInstruktor auf einmal sichtlich ungeduldig. Richard fragte sich, ob die Situation noch kritischer geworden sei.
Nach einem langen Schlummer wurde Richard am folgenden Tag von seinen Gastgebern mit seinem Tragepack ausgerüstet und in die Gewebekammer geleitet. Dort entnahmen die Myrmikatzen dem Gewebe die vier Mannas, die er vor zwei Wochen heranwachsen gesehen hatte, und steckten sie in seinen Pack. Sie waren ziemlich schwer. Er schätzte, insgesamt zwanzig Kilogramm. Ein weiterer Myrmi schnitt sodann mit einem großen scherenartigen Instrument einen Zylinder mit vier Ganglien und anhaftenden Fasern aus dem Gewebewesen. Das Material wurde in einen silbernen Tubus verstaut und in die Seitentasche gesteckt. Die Avianer-Eier kamen zuletzt in seinen Pack.
Richard atmete tief durch. Und das heißt jetzt ja wohl Adieu, dachte er, als die Myrmis ihn in den Gang wiesen. Aus irgendeinem Grund erinnerte er sich auf einmal daran, dass Nai Watanabe voller Überzeugung behauptet hatte, dass der Wai genannte Gruß der Thai (eine knappe Verbeugung mit vor dem oberen Teil der Brust gefalteten Händen) ein universales Symbol der Respektbezeugung sei. Innerlich lächelnd vollzog Richard den Wai
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