Die nächste Begegnung
wütend und machtlos fühle. Obwohl der Adler sich ja recht höflich ausgedrückt habe, sagte sie, habe er ihnen quasi die Teilnahme an dem Rück fl ug befohlen. Und wie sollten sie sich auch weigern? Die gesamte Familie war total abhängig von dem Adler — oder doch jedenfalls von der Intelligenz, deren Repräsentant er war —, was das Überleben anging. Es waren keine Drohungen ausgesprochen worden, aber die waren auch gar nicht nötig. Ihnen blieb gar keine andere Wahl, als sich den Anordnungen des Adlers zu fügen.
»Doch wer aus der Familie sollte im Nodus bleiben?«, überlegte Nicole laut. Michael sagte, es sei absolut nötig, dass wenigstens ein Erwachsener im Nodus zurückbleibe. Seine Argumentation klang überzeugend. Welches Kinderpaar man auch auswählen würde, selbst Simone und Patrick, sie würden der Erfahrung und des Wissens eines Erwachsenen bedürfen, um unter den vorhandenen Umständen auch nur eine Chance zu bekommen, glücklich zu werden. Sodann erklärte er sich bereit, im Nodus zu bleiben, und sagte, es sei sowieso unwahrscheinlich, dass er den Rück fl ug überleben werde.
Alle drei stimmten überein, dass es offenbar die Absicht der Nodus-Intelligenz sei, die Menschen während der Rückkehr in ihr Sonnensystem die meiste Zeit im Schlafzustand zu halten. Wozu sonst hätten die ganzen Schlaftests gut sein sollen? Nicole war mit dem Gedanken gar nicht einverstanden, dass die Kinder eine entscheidende Entwicklungsphase einfach verschlafen sollten. Sie schlug vor, sie könne ja allein zurückreisen und alle anderen Familienmitglieder sollten hier im Nodus bleiben. Schließlich, argumentierte sie, würden die Kinder ja nach der Reise auf der Erde ebenfalls kein >normales< Leben haben können.
»Wenn wir den Adler richtig interpretieren«, sagte sie, »enden alle Rückkehrer letzten Endes als Rama-Passagiere mit unbekanntem Ziel irgendwo anders in der Galaxis.«
»Das wissen wir nicht mit Bestimmtheit«, hielt Richard dagegen. »Andererseits sind aber alle, die hierbleiben, höchstwahrscheinlich dazu verurteilt, nie andere menschliche Gesichter zu sehen als die der Familie.«
Dann fügte Richard hinzu, er beabsichtige, die Rückreise unter allen Umständen mitzumachen, nicht nur als Nicoles Gefährte, sondern auch wegen des Abenteuers.
Bei dieser ersten abendlichen Diskussion konnten sie zu keiner schlüssigen Übereinkunft über die Nachher, in ihrem Bett, konnte Nicole nicht schlafen. Im Geist spielte sie immer wieder sämtliche Möglichkeiten durch. Sie war überzeugt, dass Simone eine bessere Mutter abgeben werde als Katie. Überdies waren Simone und >Onkel Mike< extrem kompatibel, und Katie würde sich nur widerwillig von ihrem Vater trennen lassen. Aber wer sollte als künftiger Paarungspartner Simones dann zurückbleiben? Benjy, der seine Schwester zwar abgöttisch liebte, aber nie zu einem intelligenten Gespräch fähig sein würde?
Stundenlang wälzte Nicole sich im Bett herum. In Wahrheit gefiel ihr keine der Möglichkeiten. Natürlich begriff sie die Wurzeln ihrer Besorgnis genau. Welche Lösung sie auch wählen mochten, sie würde gezwungen sein, sich von einigen Angehörigen der Familie, die sie liebte, zu trennen ... vielleicht für immer. Und wie sie da so ruhelos mitten in der Nacht dalag, fanden sich die alten schmerzlichen Albtraumgespenster früherer Trennungen wieder ein und peinigten sie. Das Herz krampfte sich ihr zusammen, als sie sich den Abschied ausmalte, der in ein paar Monaten unumgänglich sein würde. Erinnerungsbilder an ihre Mutter, ihren Vater, an Genevieve zerrten an ihren Gefühlen. Vielleicht ist das Leben nichts anderes, überlegte sie in ihrem momentanen depressiven Zustand, als eine nicht endende Folge von schmerzhaften Abschieden.
4
»Mutter! Mutter, wach auf! Ich muss unbedingt mit dir reden !«
Nicole hatte geträumt. Sie wanderte durch den Wald hinter dem Landhaus ihrer Familie in Beauvois. Es war Frühling, und die Blütenpracht war überwältigend. Sie brauchte etliche Sekunden, ehe ihr bewusst wurde, dass Simone neben ihr auf der Kante des Elternbetts saß.
Richard beugte sich herüber und küsste ihre Tochter auf die Stirn. »Was gibt's denn, Süße?«, fragte er.
»Onkel Michi und ich waren grad bei unserem
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