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Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman

Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman

Titel: Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Morgowski
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kurze Zeit später ebenfalls zu einem anderen Platz gebracht. Jetzt ist der Weg zu der kollabierten Patientin frei. Vorsichtig beuge ich mich über die leergewordenen Sitze und starre entsetzt in die aufgerissenen Augen von 

    «Nella Johannsen heißt die Dame», erklärt mir die besorgte Stewardess und hämmert mit ihrem manikürten Fingernagel auf die Passagierliste ein. «Können Sie nicht schnell irgendetwas tun? Ich glaube, sie stirbt sonst.»
    In der Tat sieht Fräulein Johannsen nicht besonders gut aus. Im Gegensatz zu neulich, als sie samt ihrer wirren Lebensgeschichte in meine Sprechstunde platzte und wie eine Mischung aus Filmdiva und preisgekrönter Araberstute wirkte, sieht sie heute eher aus wie ein Mitglied der Addams Family. Kreidebleich und mit rotgeränderten Augen, das Gesicht eingerahmt von zerzaustem, fast schwarzem Haar, hätte ich sie ohne Hilfe der Flugbegleiterin gar nicht erkannt.
    Mein Gott, hätte ich geahnt, dass diese Irre ebenfalls nach Genf fliegt, wäre ich mit dem Zug gefahren!
    «Chrrrchrrrchrrrchrrr», japst sie, verdreht dabei die Augen und schlägt in regelmäßigen Abständen mit der flachen Hand auf den Vordersitz. «Chrrrchrrrchrrr.»
    «Jetzt tun Sie doch etwas, Dr. Rosen», quiekt die Stewardess. «Schnell!»
    Ich befürchte, dass auch sie gleich hyperventilieren wird, wenn ich nicht zur Tat schreite. Nichtsdestotrotz spult sie tapfer ihr erlerntes Programm ab: «Keine Angst, Frau Johannsen. Dr. Rosen ist Arzt und wird sich jetzt um Sie kümmern.»
    Dr. Rosen wird ihnen gleich den Hals umdrehen
, denke ich und fange die um sich schlagende Hand ab. Eiskalt fühlt sie sich an. Fast wie abgestorben. Beherzt greife ich in die Tasche des Vordersitzes, um eine Spucktüte herauszufischen. Ich habe Glück, denn es steckt tatsächlich eine drin. Seit es Leute gibt, die diese Dinger sammeln und zu Höchstpreisen bei eBay versteigern – leer, versteht sich –, kann man sich darauf nämlich nicht mehr verlassen.
    Ich puste das Teil ein wenig auf und halte es meiner japsenden Patientin vor den Mund, damit sich ihre Sauerstoffzufuhr reguliert. Aber da habe ich die Rechnung ohne Nelly Wieauchimmer gemacht. Sie denkt vermutlich, ich will sie ersticken. Gar nicht so abwegig in meiner Stimmung. Jedenfalls befreit sie sich aus meinem Griff und schlägt von Neuem mit der flachen Hand zu. Gerade noch rechtzeitig kann ich meinen Kopf aus der Schusslinie bringen.
    «Herrgott, jetzt beruhigen Sie sich doch mal», schimpfe ich laut und erreiche damit natürlich genau das Gegenteil.
    «Chrrrrrechchhc», faucht sie und jagt mir mit Überschallgeschwindigkeit ihre Handkante in den Schritt.
    Ich stöhne auf. Langsam reicht es mir. «Haben Sie denn Ihre Medikamente nicht genommen?», frage ich vorsichtig und mit bemüht sanfter Stimme. Ich meine, so ein Verhalten wäre typisch: Erst um Hilfe winselnd zum Arzt rennen, sich dann aber nicht an dessen Anweisungen halten. Die meisten Patienten kümmern sich nämlich einen Scheißdreck um meine Ratschläge. Insbesondere dann, wenn sie selbst aktiv werden müssen. Pillen nehmen, schön und gut. Aber wehe, es geht ans Eingemachte. Wehe, man rät einem Patienten, der bei einer Körpergröße von 1,72 m 100 Kilo auf die Waage bringt, zum Abnehmen. Dann ist man ganz schnell der irre Quacksalber. Allein das Wort
abnehmen
macht den meisten Menschen schon Hunger. Und meinen Einwand, sie müssten ja gar nicht hungern, sondern sich lediglich ein bisschen bewegen, tun sie mit den vielfältigsten Ausreden ab. Zum Sporttreiben fehle die Zeit, kochen könnten sie leider nicht und Gemüse vertrage der Darm nicht so.
    Gut, dass das bald nicht mehr mein Fachgebiet ist.
    «Chrrrchrr», macht die Patientin immer noch, inzwischen allerdings etwas leiser. Und dann nuschelt sie plötzlich: «Echfe aeölge. Wiaalgklempf.»
    Na ja. Wahrscheinlich soll das heißen, dass sie die Medizin genommen hat. Dann war eventuell einfach nur ihr Glaube daran nicht stark genug. Mit Reinhold Schwarz werde ich bei meiner Rückkehr wohl mal ein Wörtchen reden müssen.
    «Nicht sprechen, nur atmen. Und zwar durch diese Tüte.» Ich presse ihr den Spuckbeutel wieder an die Lippen, woraufhin sie sich in meinem Ärmel festkrallt. Nach einiger Zeit kann ich jedoch spüren, dass ihr Griff sich lockert und sie sich etwas entspannt.
    Auch die Stewardess, die in regelmäßigen Abständen ihren Kontrollgang macht, zeigt sich erleichtert. «Ach, wie gut, dass Sie gleich zur Stelle waren,

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