Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
Vielleicht kann ich dich ja bekehren. Zieh eine für deine jüngste Vergangenheit. «
Er zog eine Karte.
» Der Turm. Du hast kürzlich eine große Veränderung erlebt. «
» Ich bin ein Teenager. Alles ist im Wandel. Ständig. «
» Soll ich ein bisschen mehr ins Detail gehen? «
Unbeeindruckt erwiderte er: » Nur zu, versuchen Sie’s. «
Sie hielt die Karte und schloss für einen Moment die Augen. » Dein letzter Geburtstag war voller Überraschungen. «
Meine Zähne nagten an der Unterlippe.
Pietr ließ sich nicht anmerken, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. » Und weiter? «
Sie fuhr mit dem Daumen über das Bild und überlegte. » Du hattest erwartet, an diesem Tag verletzt zu werden, nicht aber betrogen. Aber jemand, der dir nahesteht, hat dich überrascht. Nein. Zwei haben dich überrascht. Eine Person durch etwas, das einem Verrat nahekommt, die andere durch Akzeptanz « , verbesserte sie sich.
Pietrs Brauen senkten sich.
» Noch eine Karte? Für die nahe Zukunft? «
» Da. « Er riss eine weitere aus dem Fächer.
Sie drehte sie um. » Oh. « Ihre Lippen bewegten sich, während sie über die Bedeutung nachdachte, oder auch die passenden Worte zur Erklärung. » Der Tod steht bevor. «
Er schloss die Augen für eine knappe Sekunde und schluckte dann.
» Es ist ein sich wiederholender Kreislauf, der sich schließen soll. Du kannst dagegen ankämpfen, aber er wird kommen. Rasch. «
Ich streckte die Hand nach ihm aus, aber er trat rasch ein Stück zurück. » Pietr … «
» Das weiß ich alles längst. Wenn Sie mich von der Magie überzeugen wollen, müssen Sie noch gehörig was drauflegen. «
» Na schön. « Ihr Mund verzog sich zu einem verschmitzten Grinsen. » Noch eine Karte. Für ein gehütetes Geheimnis. «
Er griff nach dem Fächer, aber sie riss ihn zurück.
» Nein. Denk darüber nach. Halte es in deinem Bewusstsein fest. Was möchtest du am meisten verbergen? Welches Geheimnis wagst du nicht zu verraten? «
Er leckte sich die Lippen. Sein Kiefer war wie in Stein gemeißelt. Ganz langsam zog er eine Karte und zeigte sie ihr.
Ihr Blick huschte von der Karte zu ihm und weiter zu mir. » Verlass den Raum, Jessie « , befahl sie.
22
Aber … «
Unter Pietrs Haaransatz trat kaum sichtbar eine Ader hervor.
» Okay, ich gehe « , brummte ich und schlüpfte mit Tag zusammen hinaus. Erst als die Tür ins Schloss gefallen war, hörte man, dass drinnen die Unterhaltung wieder aufgenommen wurde. Mit einem Seufzer machte ich mich auf eine Runde über den Korridor. Hatte Mrs Feldman Pietrs größtes Geheimnis erfahren? Eröffnete sie ihm vielleicht just in diesem Augenblick, dass sie von seinem Doppelleben als Werwolf wusste?
Pietr schwang die Türe auf. Ich lief zurück und forschte in seinem ausdruckslosen Gesicht nach irgendeinem Hinweis. So gerne hätte ich ihn berührt, ihm Zuversicht gegeben, aber ich wagte nicht einmal, mit der Hand zu zucken, die noch immer Tags Leine hielt – so streng blickte er.
So unversöhnlich.
Mrs Feldman sah mich an. Ein Lächeln legte ihr Gesicht in tausend Runzeln. » Na, komm schon, Jessie. Misch die Karten und erfahre etwas über deine Zukunft. «
» Ich glaube nicht an Magie « , räumte ich ein, ohne die Augen von Pietr zu wenden.
Er setzte sich – kerzengerade – auf einen Stuhl in der einzig schattigen Zimmerecke.
» Was ist nur los mit euch Kindern? Entweder ihr glaubt an Magie und lasst nichts anderes gelten aus Angst, damit Tatsachen zu schaffen, oder ihr klammert euch an die Wissenschaft und verwerft alle anderen Möglichkeiten. Hat man euch nicht beigebracht, dass beide ihr Recht haben? Dass sie ineinander verwoben sind? Lässt sich das Wunder der Geburt wissenschaftlich erklären? Natürlich. Spermium trifft Eizelle. « Sie klopfte mit den Händen auf das Kartenspiel. » Aber dann … « Sie lehnte sich auf der Bettkante nach vorn, als lüftete sie ein Geheimnis. » Dann passiert es irgendwann, dass eine Mutter oder ein Vater dem Kind zum ersten Mal in die Augen sieht und erkennt, dass wirklich Magie mit im Spiel war. «
Sie mischte die Karten viel schneller, als man es den gichtgeplagten, knotigen, fleckigen Händen zugetraut hätte. Die kitschigen Ringe an ihren Fingern funkelten. » Schöpfung. Aminosäuren finden die passenden Bedingungen, Druck, Temperatur, um das Leben in Gang zu setzen. Wissenschaft! « , rief sie. » Und doch: Wo im ganzen weiten Universum ist es passiert? Nur hier. « Sie deutete energisch mit dem
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