Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
der Treppe. Wenn ich die letzten Stufen mitzählte, kam ich insgesamt auf vierundzwanzig. Die beiden Agenten, die vorausgegangen waren, waren vor einer Tür stehen geblieben, und diese war jetzt auch tatsächlich ein bisschen eindrucksvoller: Eine schwere, große Stahlkonstruktion, die im Gegensatz zum etwas wärmeren Farbton des Betons blassgrau schimmerte. Mich erinnerte sie an Türen von Kühlräumen, wie wir sie bei einer Schulexkursion in einer Großmetzgerei gesehen hatten. Angesichts der Analogie musste ich unwillkürlich zittern.
Gleich über dem massiv aussehenden Türgriff war ein kleines Zahlenfeld eingelassen. Der kleinere Agent tippte rasch eine Zahlenfolge ein, das Feld blinkte zweimal grün und die Tür schwang mit einem kaum hörbaren Geräusch auf.
Nun wurde es wirklich eindrucksvoll.
Wir kamen in eine Art Tunnel. Die glatten, geraden Wände waren auch hier betoniert. Das von einem Bautrupp in aller Schnelle einbauen zu lassen, musste schon eine Kleinigkeit gekostet haben.
Wir gingen den langen unterirdischen Korridor entlang. Die für einen solchen Ort mehr als passenden, höllisch grellen Leuchtstoffröhren ließen uns alle todkrank aussehen.
Wir gelangten an eine weitere Tür. » Okay « , sagte ich. » Unter dem Haus sind wir jetzt nicht mehr, und unter dem Garten müssen wir auch schon durch sein. Jenseits dieser Tür müssten wir uns unter dem Grabbit-Supermarkt befinden. «
» Das ist korrekt « , bestätigte der kleine Agent. » Beinahe hätten wir die Bauarbeiten einstellen müssen, weil sich die Anlieger darüber aufgeregt haben, dass wir den alten Supermarkt-Parkplatz aufreißen und die Benzintanks ausbuddeln. « Er kicherte. » Aber wir haben ihnen gesagt, die Tanks könnten nach den neuen gesetzlichen Richtlinien nicht im Boden bleiben. Unglücklicherweise lag unter dem alten Grabbit-Markt ein komplexes, undichtes Rohrsystem und das ganze Viertel drohte deswegen in die zu Luft fliegen. «
» Das haben Sie jedenfalls behauptet « , warf Alexi ein.
» Das hat die Leute jedenfalls beruhigt « , sagte der Große. » Und wie ihr seht « , fuhr er fort und öffnete die nächste Tür, » haben alle von unserem Fortschritt profitiert. «
Der Gang weitete sich zu mehreren Bürostellen, hinter denen in der Wand weitere Stahltüren eingelassen waren.
» Wie weit geht das denn noch? « , fragte ich voller Ehrfurcht.
» Nur noch ein kleines Stück … «
24
Hinter den nächsten Türen erwartete uns ein betriebsames Wissenschaftslabor – unser letzter Aufenthalt, bevor die Rusakovas wieder mit ihrer Mutter zusammenkommen sollten. Cat und ich stießen gleichzeitig die Luft aus. Auch in Pietrs Schultern ließ die Spannung etwas nach.
An einem solchen Ort waren einst wohl auch die genetischen Voraussetzungen für die Verwandlungsfähigkeit der Rusakovas ausgetüftelt worden: ein Biotechnologielabor voller Apparaturen, die aus dem neuesten, großzügig finanzierten Science-Fiction-Film zu stammen schienen.
Seufzend schoben sich die Stahltüren hinter uns zusammen und sofort wurden alle Tätigkeiten eingestellt. Männer und Frauen in weißen Labormänteln wandten die Köpfe und starrten uns mit großen Augen an. Pietr, Cat und Alexi drängten sich dichter an mich. Max dagegen genoss die Aufmerksamkeit und warf sich in Pose.
Ein Mann mit Halbglatze, der an Körpergröße nicht einmal an den kleinen Agenten heranreichte (forschte die CIA denn neben Werwölfen auch an Zwergen?) trippelte zu uns herüber. » Es ist mir ein außerordentliches Vergnügen, Sie endlich kennenzulernen. « Er ergriff Max’ Hand und schüttelte sie heftig.
» Maximilian Rusakova « , stellte er sich vor.
Die Frauen seufzten.
Max war in seinem Element.
» Das Alphamännchen! « , verkündete der Wissenschaftler voller Überzeugung.
Ich hob ungläubig die Augenbrauen. So etwas mitten im Rudel laut herauszuposaunen, war schon ziemlich verwegen. Entweder hatten diese Leute keine Ahnung, wie gefährlich Wölfe waren, oder es kümmerte sie nicht, weil sie über Informationen verfügten, die wir nicht besaßen. Ich hoffte auf Letzteres und drängte die nagende Angst, die mir den Hals einschnürte, zurück.
Der kleine Mann – Henry, seinem Namensschild nach – streckte die Hand nach Pietr aus.
Pietr zeigte deutlich weniger Begeisterung.
» Pietr Rusakova, das Betamännchen « , stellte er etwas vorsichtiger fest. Aber dann entdeckte er Catherine. » Ohhh! « , rief er, griff sie bei der Hand und zog sie nach vorn.
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