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Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben

Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben

Titel: Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Delany
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« , dröhnte Max.
    Eine Frau, die in der Nähe stand, zog sich einen Bleistift aus dem Haar, ließ ihn fallen und grinste Max an, als wäre er ein leckeres Frühstücksbrötchen.
    » Du meine Güte « , seufzte Henry.
    Genau das hatte ich auch gedacht.
    Ich blickte ins Okular. » Hm. « Ich schob den anderen Objektträger ein. » Tja. Okay, beide Proben sind definitiv im Eimer. «
    Henry prüfte die Präparate und wischte sich über die Stirn, auf der urplötzlich dicke Schweißperlen aufgetaucht waren. » Oh. Wie seltsam … «
    Alexi schob sich nach vorn, um auch einen Blick darauf zu werfen, als Henry die Proben auch schon wegschnappte. » Ich glaube, jetzt ist es Zeit für den Besuch. Nicht wahr, Frederick? « , rief er einem Wachmann am anderen Ende des Labors zu.
    Dieser nickte. » Klar, Doc. Gehen wir. «
    Er berührte ein Sensorfeld und die letzte Doppeltür schob sich leise auf.
    Ich rempelte Max an, der plötzlich stehen geblieben war. Die Rusakovas bildeten vor mir einen undurchdringlichen Wall.
    » Was …? «
    Keiner gab eine Antwort. Die Rusakovas standen wie gelähmt und starrten auf etwas, was ich nicht sehen konnte. So sehr ich mich reckte und streckte, konnte ich doch keinen Blick auf das erhaschen, was sie so gefangen hielt – reglos, schweigend und mit flachen, raschen Atemstößen.
    Schließlich zwängte ich mich bockig zwischen Pietr und Max und drängelte so lange, bis ich es sehen konnte. Nun stand auch ich in der Reihe, steif vor Schmerz. Ich schob meine Hand in Pietrs und drückte sie mitfühlend. Er zog sie weg. Aber nur langsam.
    Wir standen vor einem großen Glaskubus. Ein durchsichtiger Käfig von etwa sechs mal sechs Metern, der dem Insassen keinerlei Privatsphäre bot. Wäre das Wesen, das sich im Innern befand, in einem Zoo ausgestellt gewesen, dann hätte ich mir nicht viel dabei gedacht, aber in dieser Zelle befand sich Pietrs Mutter. In einer Ecke des Glashauses stand eine schmale Pritsche, in einer anderen lagen ein paar Bücher verstreut. In der dritten Ecke, hinten links, waren eine Edelstahltoilette und ein Waschbecken angebracht. Für die Frau im Trägertop und Khakihosen gab es keinerlei Rückzugsmöglichkeit, keine Geborgenheit. Ihr langes Haar war ein verfilztes Wirrwarr aus Braun-und Rottönen. Sie saß in der hintersten Ecke mit dem Rücken zu uns.
    » Meist tut sie, als würde sie uns nicht bemerken « , erklärte der größere Agent. » Vielleicht eine Verdrängungsstrategie? « Er rieb sich das Kinn und blickte die anderen Rusakovas fragend an. Seine Augen blieben bei mir hängen. » Ignorieren sie immer unangenehme Dinge? «
    » Im Moment bestimmt « , stellte ich fest.
    Der Mann zwinkerte. Dann räusperte er sich und rief laut: » Sie haben Besuch. «
    Als einzige Reaktion hob die Mutter einen ganz bestimmten Finger in die Höhe.
    Der Agent lachte und ich stellte mich breitbeinig hin und packte Pietrs Arm, damit er dem Kerl nicht an den Kragen ging. Den Rücken hatte Pietr unnatürlich gerade durchgedrückt, und unter meinen Händen zuckten seine Muskeln, so sehr stand er unter Spannung. Mich würdigte er keines Blickes, sondern genoss es, wie die Wut noch rascher durch seine Adern pulsierte als sein Blut.
    » Ganz ruhig. Die warten nur auf einen Grund, dich auch einzusperren. «
    Zur Bestätigung meiner Befürchtung richteten sich die Augen unseres Aufpassers auf mich. Ich sah, wie Pietr den Kloß in seinem Hals hinunterschluckte. Dann schloss er für einen Moment die Augen. » Mutter? «
    Sie wirbelte so rasch herum, dass ich nicht die Bewegung, sondern nur das Ergebnis wahrnahm. Sie drückte ihr Gesicht seitlich an die Scheibe, krallte die Finger über der unsichtbaren Schranke, als wollte sie sich zu uns durchgraben. » Pietr? « Ihre Stimme war belegt vom langen Schweigen. Ihre Augen fanden Pietr und wieder schrie sie, wie einen Schlachtruf, seinen Namen.
    Mit zwei großen Sätzen war er bei ihr, die Hände wie ein Spiegelbild an die Scheibe gepresst. Ihre Lippen bewegten sich, aber ich konnte die Worte nicht hören. Pietr drückte seine Stirn ans Glas und ließ die Schultern hängen. Alle Wut war aus seinem Körper gewichen.
    Max und Catherine traten an seine Seite, Alexi blieb knapp dahinter.
    Ich zögerte und war mir mit einem Mal bewusst, wie anders ich war: wie die Wissenschaftler und Wächter, die sie gefangen hielten – nicht wie ihre wilden, anmutigen Kinder. Das hier mochte mein Kampf sein, aber meine Familie war es nicht.
    Meine Mutter war fort.

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