Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben

Titel: Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Delany

Vom Netzwerk:

Ihre lebte. Als Gefangene.
    Ich senkte den Kopf und verschränkte die Hände. Sie brauchten bestimmt Zeit, ihrer Mutter zu begegnen, die sie lange für verloren geglaubt hatten.
    » Jess. «
    Pietr wandte sich in meine Richtung und winkte mich mit einer Kopfbewegung heran. Als ich den Ausdruck auf seinem Gesicht sah, setzte mein Herz einen Schlag aus. Ich musste ruhig bleiben. Nicht rennen. Atmen.
    Mit gesenktem Blick und schlotternden Knien ging ich nach vorn und fragte mich, wie ich mich in Gegenwart einer Werwolfs-Mutter zu verhalten hatte. Ich hatte den Gedanken kaum gefasst, als mir der Fehler in meiner Logik auch schon bewusst wurde: Pietr war ein Werwolf. Max war ein Werwolf. Und Catherine ebenfalls. Und meistens vergaß ich diese Tatsache sehr schnell. Unser Menschsein überwand selbst diesen krassen Unterschied zwischen uns.
    Cat streckte den Arm aus, legte ihn um mich, zog mich ganz nah an die Scheibe und sagte: » Das ist Jessie. «

25
    D ie Mutter der Werwölfe musterte mich mit feinen Lippen und gesenkten Augenbrauen. In den Winkeln der glitzernden Türkisaugen verzweigten sich tiefe Krähenfüße, und was einst Lachfalten gewesen waren, hatte sich als tiefe Spuren der Sorge und Wut in ihr Gesicht eingegraben. Mein Gott, sie war so jung, und doch gleichzeitig so alt …
    » Schön, Sie kennenzulernen, Mrs Rusakova … «
    Max sagte hinter uns zu den Aufpassern: » Es hieß, dass wir zu ihr hineindürfen. «
    Ein Agent drückte einen Knopf an der Wand. Die Sprechanlage gab einen Summton von sich, dann krächzte es aus dem Lautsprecher: » In Ordnung. Ihr könnt sie alle in die Zelle lassen. «
    Ich wand mich aus Cats Griff und rief: » Nein! Höchstens zwei gehen rein. « Mir schlug das Herz im Hals. Zu groß schien mir die Versuchung, die Tür einfach nicht mehr zu öffnen, wenn man alle Werwölfe erst einmal in einer Zelle beisammen hatte!
    Cat griff meinen Vorschlag sofort auf. » Max und ich gehen zuerst rein, dann Pietr, Jessica und Alexi. «
    Ihre Mutter lächelte mich an und mein Herz machte einen Sprung. » Kluges Kind « , meinte sie, halb schnurrender russischer Akzent, halb Werwolfknurren.
    Vier weitere Wächter betraten den Raum als Vorsichtsmaßnahme. Alexi und ich sahen uns an. Wir taten beide dasselbe – merkten uns die Zahl der Bewacher, ihre Bewaffnung und Einsatzbereitschaft.
    Eine Zahlenfolge wurde in das Tastenfeld neben der Zellentür getippt und ein Wächter drückte seine Handfläche auf den Sensor. Erst blinkte eine Lampe, dann plärrte eine Warnsirene los und schließlich klackte es im Schloss. Dann schob sich die fast nahtlos in den durchsichtigen Würfel eingelassene Tür langsam auf.
    Cat und Max gingen hinein und die Tür glitt wieder zu. Ich trat neben Alexi von einem Fuß auf den anderen.
    Pietr war schon bis an die Zellentür gegangen.
    Innen gab es Tränen und Umarmungen. Die Mutter – Tatiana – zog den einzigen Stuhl heran und setzte sich. Max fiel schniefend vor ihr zusammen und lehnte seinen dichten Haarschopf an ihr Knie. Sie seufzte, wuschelte mit den Fingern durch die dunklen Locken und genoss den Augenblick, als hätten sie alle Zeit der Welt. Cat hockte erwartungsvoll und voller Aufmerksamkeit neben ihrem anderen Knie.
    Ihr fiel dasselbe auf wie mir: Anspannung, Stress und das fortschreitende Alter hatten sichtbar an der natürlichen Schönheit der Frau gezehrt – am meisten aber wohl die Trennung von ihrer Familie, der Schmerz über die verlorene Liebe.
    » Wer ist sie? « Die Mutter deutete auf mich.
    » Mutter « , antworte Cat laut. » Ich sagte bereits, dass sie Jessie heißt. «
    Ich sah Alexi an.
    » Die Altersdemenz setzt bei dieser Art früh ein « , flüsterte er.
    » Ich bin nicht dement, Alexi « , bellte seine Mutter. » Und ich bin auch nicht taub. Ich möchte wissen, werrr genau Jessie ist. Wie steht sie zu meinerrr Familie? «
    Ich war mir ziemlich sicher, dass es mir nicht zufiel, meine Verbindung zu ihnen darzulegen. Was hätte ich auch sagen sollen? Beinahe wäre ich mit Ihrem jüngsten Sohn gegangen, aber meine schubweise psychopathische Freundin hat ihn mir weggeschnappt, und deshalb haben wir hinter ihrem Rücken ein bisschen rumgemacht, bis er es sich anders überlegt hat, und seither gehe ich mit dem einzigen Typen an der Junction High, den er wirklich hasst?
    So machte ich mich bei Pietrs Mom bestimmt nicht beliebt.
    Cat sagte nur: » Sie hat die Matrjoschka geöffnet. «
    Tatianas Kopf schnellte in unmenschlicher Geschwindigkeit