Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
da nicht urteilen « , sagte er und verzog das Gesicht. » So als Werwolf … «
» Da ist was dran. Aber woher weißt du, wo er wohnt? «
» Ich war gestern fast dort, als mich Pietr erwischt hat. «
» Also der Nase nach? «
» Ja. « Max drückte das Gaspedal durch und fuhr los. Die Reifen quietschten und der Kies spritzte auf. » Wie kann man nur glauben, es wäre nichts dabei, wenn man … «
» … ein Mädchen schlägt? «
» Irgendwen schlägt. « Ich verkniff mir, sein Bedürfnis zur Umgestaltung von Marvins Gesicht zu erwähnen. » Ich weiß nicht, Max. Ich weiß wirklich nicht. «
Selbst schweigend verging die Zeit im Auto mit Max im Nu.
» Du magst sie wirklich, stimmt’s? Aber kommt dein Interesse an ihr nicht ein bisschen … plötzlich? «
Er runzelte die Stirn.
» Max … « Ich verstummte.
» Jessie. « Er stieß einen derart heißen Schwall Luft aus, dass die Windschutzscheibe beschlug. Er sorgte mit dem Handballen für freie Sicht und schüttelte nur den Kopf. » Du weißt eben nicht alles, okay? Das geht eben nicht. Du kannst nicht allwissend sein. « Er kniff die Augen zu und ich klappte die Kinnlade wieder hoch. » Sie ist wirklich heiß « , rechtfertigte er sich. » Hier. «
Die Einfahrt aus Backstein war gesäumt von akkurat getrimmten Heckenformationen. Max bog ein, ließ das Fenster herunter und schnupperte. » Hier ist es. « Vor uns ragte ein riesiges weißes Haus mit einer breiten Veranda und dicken weißen Säulen in den Himmel. Mir kam es vor, als hätte man eine besonders geschmacklose Südstaatenvilla hier in Junction wiedererstehen lassen, um über das einfache Volk zu herrschen.
» Sieht doch entzückend aus, oder? « , meinte ich schnippisch.
» Himmlisch. Kaum zu glauben, dass hier der Teufel wohnt. «
Ich nickte. » Du bleibst hier, verhältst dich still und lässt dich nicht blicken. Er soll nicht wissen, dass wir zu zweit hier sind. «
» Also gut. Aber … wenn du mich brauchst, Jessie … «
» Dann schreie ich. «
Dass Marvin auf so einem Anwesen wohnte, hätte ich nicht gedacht. Und dazu hier auf dem Hügel. Sie waren zwar nicht direkt Nachbarn, aber es war dasselbe Viertel, aus dem auch Sarah stammte. Und Macie, Jenny und Derek. Der Hügel war die beste Gegend von Junction. Von hier blickte man in jeder Hinsicht auf den Pöbel der Stadt herunter.
Für ein Mädchen wie Amy … Nein! Ich fing den Gedanken noch einmal anders an. Für ein Mädchen mit einem familiären Hintergrund wie Amy musste es wahnsinnig eindrucksvoll sein, wenn man hier auf dem Hügel wohnte. Das durfte ich nicht vergessen. » Versetz dich einmal in ihre Lage « , hätte Mom gesagt. Ja, was für eine Chance für Amy, wenn da nicht die dunkle Seite wäre …
Mit einem ordentlichen Schwung am schweren Messingklopfer machte ich auf mein Kommen aufmerksam. Ich holte tief Luft, war aber dennoch überrascht, als die Tür aufschwang.
» Nanu, hallo. « Ein Frau lächelte mich freundlich an.
Sie war hübsch. Feine Gesichtszüge, das Haar hatte fast denselben Ton wie bei Amy, dazu modisch-dezente Kleidung – feine Bluse, knielanger Rock und Pumps. Den Hals schmückte eine dicke Perlenkette.
Unter der die blauen Flecken kaum zu sehen waren.
Nun war es amtlich: Ich steckte bis über beide Ohren drin.
Aber Amy eben auch. Ich war zuletzt so sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen – jetzt brauchte sie jemanden, der ins haiverseuchte Wasser hinausschwamm und sie vor dem Ertrinken rettete.
Ich konzentrierte mich wieder auf das Gesicht der Frau und erwiderte das Lächeln. Mir verschlug es den Atem bei dem Gedanken, dass ich hier Amys Zukunft vor mir sah. » Hallo, Mrs Broderick? «
» Ja. « Das Lächeln geriet ins Wanken. » Und Sie sind …? «
» Jessica Gillmansen. Ich gehe mit Marvin zur Schule. Aber nennen Sie mich bitte Jessie. «
» Oh. Schön. Was kann ich für dich tun, Jessie? «
» Ich wollte wissen, ob Marvin zu Hause ist. «
» Er ist gerade beim Frühstück. Ich könnte für dich mitdecken. «
» Oh. Hm. Danke, aber … « Mein knurrender Magen verriet mich.
» Das ist schließlich die wichtigste Mahlzeit des Tages. «
» Ja, Ma’am « , stimmte ich zu. Ich musste an Max denken, der im Wagen wartete. Gehorsam wie ein Hündchen. Ich betete zumindest, dass es so war.
» Marvin « , rief sie. » Hier ist eine Freundin von dir. « Sie schob die Tür zu einem Speisezimmer auf, gegen das sowohl meine Frühstücksecke als auch das Esszimmer der Rusakovas
Weitere Kostenlose Bücher