Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
Vom Netzwerk:
euch dies nicht zu sehr überrascht. Man muss mich ja nur anschauen, um zu wissen, dass ich ein todkranker Mann bin.«
    Paulinus berührte Josephus am Unterarm, und Magdalena rang die Hände.
    »Nun, Paulinus, willst du nicht bestätigen, dass du den Namen Josephus von Vectis in einem der Bücher gesehen hast?«
    Paulinus antwortete mit verkniffenem Mund: »So ist es.«
    »Und du kennst meinen Todestag?«
    »So ist es.«
    »Kommt er bald?«
    »So ist es.«
    »Aber nicht morgen, hoffe ich«, scherzte Josephus.
    »Morgen ist es nicht.«
    »Ausgezeichnet«, sagte Josephus und legte die Fingerspitzen aneinander. »Ich habe die Pflicht, für die Zukunft vorzusorgen, nicht nur für das künftige Wohlergehen des Klosters, sondern auch für Octavus und die Bibliothek. Deshalb erkläre ich nun, dass ich nach dem Bischof schicken und ihn ersuchen werde, Schwester Magdalena zur Äbtissin und Bruder José zum Prior von Vectis zu ernennen. Bruder Paulinus, mein teurer Freund, du wirst ihnen weiterhin so treu dienen, wie du mir gedient hast.«
    Magdalena senkte den Kopf, um das schmale Lächeln zu verbergen, das sie nicht unterdrücken konnte. Paulinus und José waren stumm vor Schmerz.
    »Und ich habe noch etwas anzukündigen«, fuhr Josephus fort. »Heute Abend begründen wir einen neuen Orden innerhalb von Vectis, einen geheimen Orden zum Schutz und zur Bewahrung der Bibliothek. Wir sind die vier Gründungsmitglieder dieser Verbindung, die fortan Orden der Namen genannt wird. Lasset uns beten.«
    Er stimmte ein inbrünstiges Gebet an, und als er fertig war, erhoben sie sich gemeinsam.
    Josephus berührte Magdalenas knochige Schulter. »Nach der Vesper werden wir das tun, was getan werden muss. Bist du bereit dazu?«
    Die alte Frau zögerte, wandte sich in stummem Gebet an die heilige Gottesmutter. Josephus wartete auf ihre Antwort. »Ich bin es«, sagte sie.
     
    Nach der Vesper zog sich Josephus zur Meditation in sein Gemach zurück. Er wusste, was in diesen Augenblicken geschah, wollte jedoch nicht dabei sein. Er stand fest zu seinem Entschluss, dennoch konnte er als der liebenswürdige, sanftmütige Mensch, der er war, solch mitleidloses Tun nicht mit ansehen.
    Er wusste, während er den Kopf zum Gebet senkte, dass Magdalena und José in diesem Augenblick Mary aus dem Hospiz holten und über den dunklen Weg zum Skriptorium führten. Er wusste, dass sie leise vor sich hin weinen würde. Er wusste, dass sie laut aufschluchzen würde, wenn sie ihre Hand ergriffen und sie in den Keller hinabzogen. Und er wusste, dass sie gellend schreien würde, sobald Paulinus die Tür zu Octavus’ Kammer öffnen, José sie über die Schwelle drängen und dann die Tür hinter ihr verriegeln würde.

30. Januar 1947 – Isle of Wight, England
     
    Reggie Saunders hatte – wie er es nannte – ein Heubodenerlebnis mit Laurel Barnes, der kurvenreichen Gattin des Geschwaderkommandanten Julian Barnes, und zwar ausgerechnet im Himmelbett des Kommandanten. Er genoss die Situation in vollen Zügen. Das Landhaus war grandios, besaß ein riesiges Schlafzimmer, aus dem ein hübsches Kaminfeuer die Kälte vertrieb, und Mrs. Barnes wusste seine Anwesenheit sehr zu schätzen, denn sie hatte sich daran gewöhnt, für ihr eigenes Wohlergehen zu sorgen, seit ihr Mann im Krieg gewesen war.
    Reggie war eine kräftige, stämmige Erscheinung, bei der sogar der Bierbauch männlich wirkte. Seinem jungenhaften Lachen und seinen unglaublich breiten Schultern konnte keine Frau widerstehen, da bildete Mrs. Barnes keine Ausnahme. Dass er keinerlei moralische Bedenken kannte, fiel bei seiner treuherzigen, ausgelassenen Art nicht auf. Reggie ging es immer nur um eines, und zwar um Reggie Saunders. Er hatte das Gefühl, die Welt sei ihm etwas schuldig, und dass er den Weltkrieg mit unversehrten Augen, Gliedmaßen und Genitalien überstanden hatte, war für ihn ein Zeichen dafür, dass ihm sein Land zu Dank verpflichtet war und weiterhin für seine Bedürfnisse sorgen musste, sowohl für die finanziellen als auch für die sinnlichen. Gesetze und moralische Normen waren für ihn lediglich Orientierungspunkte, die es zu bedenken galt, um sie dann zu missachten.
    Sein erster Kriegseinsatz entsprach überhaupt nicht seinen Vorstellungen. Viel zu gefährlich, viel zu anstrengend. Er gehörte als Stabsfeldwebel zu Montgomerys Achter Armee, die Rommel aus Tobruk verdrängen sollte. Nachdem er für seinen Geschmack schon viel zu lange in der Wüste gewesen war, konnte er seine

Weitere Kostenlose Bücher