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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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Cellarium und Vorratshäusern, sowie Schwester Sabeline, die Mutter Oberin der Ordensschwestern, eine stolze Frau mittleren Alters von aristokratischer Herkunft.
    »Wer kann mir berichten, wie es derzeit um die Bibliothek bestellt ist?«, verlangte Baldwin zu wissen.
    Alle waren in jüngster Zeit dort gewesen, von Unruhe und Neugier getrieben, doch niemand wusste besser Bescheid als Bartholomew, der einen Großteil seines Lebens unter der Erde verbracht hatte und dabei gewisse Eigenschaften einer Wühlmaus angenommen zu haben schien. Er hatte ein spitzes Gesicht, scheute helles Licht und unterstrich seine Worte mit knappen, flinken Gebärden. »Irgendetwas beunruhigt sie«, hob er an. »Ich habe sie seit vielen Jahren beobachtet.« Er seufzte. »Viele Jahre, in der Tat, aber ich habe noch nie erlebt, dass sie etwas zeigen, das man fast eine Gemütsregung nennen könnte.«
    Gabriel schaltete sich ein. »Ich pflichte unserem Bruder bei. Doch es sind nicht die üblichen Gefühle, die unsereins kennt – Freude, Wut, Überdruss, Hunger –, sondern etwas anderes, so als wäre etwas Beunruhigendes im Gange.«
    »Was genau hat sich an ihrem üblichen Verhalten verändert?«, fragte Baldwin nachdenklich.
    Felix beugte sich vor. »Ich würde sagen, ihre Zielstrebigkeit hat nachgelassen.«
    »Ja!«, pflichtete Bartholomew bei.
    »Im Lauf der Jahre haben wir immer wieder ihre unermüdliche Schaffenskraft bewundert«, fuhr Felix fort. »Ihr Fleiß ist unvorstellbar. Sie arbeiten, bis sie umfallen, aber nach einer kurzen Ruhepause sind sie wieder frisch und munter und beginnen aufs Neue. Auch wenn sie essen, trinken oder ihren natürlichen Bedürfnissen nachkommen, halten sie nur einen Augenblick inne. Doch jetzt …«
    »Jetzt werden sie genauso faul wie ich!«, dröhnte Bruder Thomas dazwischen.
    »Faulheit ist es wohl kaum«, wandte der Medicus ein. Bruder Edward trug einen langen, dünnen Bart, über den er unentwegt strich. »Ich würde eher sagen, sie sind apathisch geworden. Sie arbeiten langsamer, schwerfälliger, ihre Hände bewegen sich weniger flink, sie schlafen länger. Sie ziehen das Essen in die Länge.«
    »Du hast ganz recht«, stimmte Bartholomew zu. »Sie sind wie immer, aber es hat sich eine gewisse Apathie eingeschlichen.«
    »Gibt es sonst noch etwas?«, fragte Baldwin.
    Schwester Sabeline befingerte den Saum ihres Schleiers. »Letzte Woche war einer von ihnen nicht willens.«
    »Erstaunlich!«, rief Thomas.
    »Ist das noch einmal vorgefallen?«, fragte Gabriel.
    Sie schüttelte den Kopf. »Es hat sich bislang keine weitere Gelegenheit ergeben. Morgen allerdings werde ich ein hübsches Mädchen namens Elizabeth hinunterbringen. Ich werde euch über den Ausgang berichten.«
    »Tu das«, sagte der Abt. »Und haltet mich auf dem Laufenden, was diese – Apathie betrifft.«
     
    Bartholomew stieg vorsichtig die steile Wendeltreppe hinab, die von dem kleinen Holzbau zu den Krypten führte. In regelmäßigen Abständen waren Fackeln angebracht, die für die meisten seiner Brüder hell genug waren, doch ihn ließ allmählich sein Augenlicht im Stich, nachdem er ein Leben lang im Kerzenschein Manuskripte gelesen hatte. Er tastete mit dem rechten Fuß nach jeder Kante, bevor er den linken auf die nächste Stufe setzte.
    Das Treppenhaus war sehr eng, und er musste so oft im Kreis laufen, dass ihm leicht schwindlig war, als er unten ankam. Immer wenn er in die Krypten hinabstieg, bewunderte er die Baukünste seiner Vorgänger, die sich vor mehr als hundert Jahren so tief in die Erde gegraben hatten.
    Er öffnete das mächtige Schloss mit einem schweren schwarzen Eisenschlüssel, der stets an seinem Gürtel hing. Da er klein und schmächtig war, musste er mit aller Kraft gegen die Tür drücken. Knarrend gab sie nach, und er trat in den Saal der Schreiber.
    Obwohl er schon tausend Mal in diesem Saal gewesen war, seit man ihn in den Orden der Namen aufgenommen hatte, hielt er immer noch genauso wie einst als junger Scholar angesichts des Wunders inne, das sich ihm hier darbot.
    Bartholomew betrachtete die bleichen, rotblonden Männer und Jungen, die dasaßen wie Ährenreihen, jeder mit einem Federkiel in der Hand, den sie ein ums andere Mal ins Tintenfass tauchten und kratzend übers Pergament fahren ließen, sodass es klang, als ob Hunderte von Ratten in einem Kornfass nagten. Manche von ihnen waren alte Männer, andere noch kleine Jungen, aber trotz der Altersunterschiede sahen sie einander alle beängstigend

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