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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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    Als Felix mit einigen jungen, kräftigen Mönchen, die ihm bei dem Begräbnis helfen sollten, in das unterirdische Gewölbe zurückkehrte, stellte er fest, dass die Schreiber noch schwerfälliger und lustloser wirkten als zuvor und dass weit mehr von ihnen als sonst auf ihren Bettstellen lagen und schliefen.
    Es erschien ihm fast so, als ob sie trauerten.
     
    Die Pferde wieherten und scharrten mit den Hufen, als Luke in die Stallungen kam. Es war kalt und dunkel, und er konnte kaum glauben, dass er sich überhaupt hierhergewagt hatte. »Hallo!«, rief er halblaut. »Ist hier jemand?«
    Eine leise Stimme antwortete: »Hier bin ich, Luke. Ganz hinten.«
    Mit Hilfe eines dünnen Streifens Mondlicht, der durch die offene Stalltür fiel, fand er sie. Sie war im Verschlag einer großen braunen Stute, an deren Bauch sie sich wärmte.
    »Danke, dass du gekommen bist«, sagte sie. »Ich fürchte mich.« Sie weinte nicht mehr. Dazu war es zu kalt.
    »Du frierst«, sagte er.
    »Wirklich?« Sie streckte ihm den Arm entgegen, damit er sie berührte. Er zögerte etwas, doch als er ihr alabasterfarbenes Handgelenk so nah vor sich sah, umschloss er es und wollte es nie mehr loslassen.
    »Ja. Du frierst.«
    »Willst du mich küssen, Luke?«
    »Das darf ich nicht!«
    »Bitte.«
    »Warum quälst du mich? Du weißt, dass ich es nicht darf. Ich habe mein Gelübde abgelegt! Außerdem wollte ich nur hören, warum du solche Angst hast. Du hast von Krypten gesprochen.« Er ließ sie los und wich einen Schritt zurück.
    »Bitte, sei nicht böse mit mir. Ich soll morgen in die Krypten gebracht werden.«
    »Zu welchem Zweck?«
    »Sie wollen, dass ich einem Mann beiliege. So etwas habe ich noch nie getan«, schluchzte sie. »Auch andere Mädchen im Kloster haben dieses Schicksal erduldet. Ich bin ihnen begegnet. Sie haben Kinder geboren, die man ihnen weggenommen hat, sobald sie nicht mehr gestillt werden mussten. Manche Mädchen werden gezwungen, wieder und wieder Mutter zu werden, bis sie schließlich den Verstand verlieren. Bitte lass nicht zu, dass das mit mir geschieht!«
    »Was erzählst du da? Das kann ich einfach nicht glauben!«, rief Luke. »Dies ist eine Stätte Gottes!«
    »Es ist aber wahr. Es gibt Geheimnisse in Vectis. Hast du die Geschichten nicht gehört?«
    »Ich habe viele Dinge gehört, aber mit eigenen Augen habe ich noch nichts gesehen. Und ich glaube nur, was ich sehe.«
    »Aber du glaubst doch auch an Gott«, sagte sie. »Und Ihn hast du auch nicht gesehen.«
    »Das ist etwas anderes!«, entgegnete er. »Ihn muss ich nicht sehen. Ich spüre Seine Gegenwart.«
    Sie wurde zusehends verzweifelter. Dann fasste sie sich wieder und griff nach seiner Hand. Er ließ es geschehen. »Bitte, Luke, leg dich zu mir, hier ins Stroh.«
    Sie führte seine Hand an ihren Busen und drückte sie an sich. Er spürte das feste Fleisch durch ihren Umhang, hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Er wollte die Arme um ihre lieblichen Rundungen legen, und einen Moment lang hätte er es beinahe getan. Dann kam er wieder zu Verstand, zuckte zurück und stieß an die Wand des Verschlags.
    Ihre Augen wirkten verstört. »Bitte, Luke, geh nicht! Wenn du mit mir das Lager geteilt hast, werden sie mich nicht mehr in die Krypten bringen. Dann bin ich für sie nicht mehr von Nutzen.«
    »Und was wird dann aus mir?«, zischte er. »Ich werde aus dem Kloster ausgeschlossen. Ich werde das nicht tun. Ich bin ein Gottesmann! Bitte, ich muss jetzt gehen!«
    Während er aus den Stallungen eilte, hörte er Elizabeth’ Weinen, das sich mit dem Wiehern der beunruhigten Pferde mischte.
     
    Die Sturmwolken hingen so tief und schwer über der Insel, dass der Übergang von der nächtlichen Dunkelheit zur Morgendämmerung kaum wahrnehmbar war. Luke lag die ganze Nacht wach, wälzte sich unruhig und aufgewühlt hin und her. Bei den Laudes konnte er sich kaum auf die Choräle und Psalmen konzentrieren, und in der kurzen Zeitspanne, bis er zur Prim wieder in die Kathedrale musste, erledigte er in aller Eile seine Aufgaben.
    Schließlich konnte er es nicht mehr ertragen. Er krümmte sich etwas, hielt sich den Bauch und bat Bruder Martin, seinen Vorgesetzten, leise um Erlaubnis, die Prim ausfallen zu lassen und das Siechenhaus aufsuchen zu dürfen.
    Als ihm dies gewährt wurde, zog er seine Kapuze über den Kopf und schlug einen großen Bogen um die verbotenen Gebäude. Er suchte sich einen kräftigen Ahornbaum auf einer leichten Erhebung aus, der so nahe an den

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