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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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gallertartigen rosa Substanz befleckt. Josephus bemerkte, dass Santesas Bauch mit einer rötlich glänzenden Salbe eingeschmiert worden war und der blutige Fuß eines Kranichs auf dem Bett lag. Hexerei. Das konnte er nicht dulden.
    Die Hebamme drehte sich um, bemerkte den Geistlichen und sagte lediglich: »Eine Steißgeburt.«
    Josephus schob sich hinter sie, worauf die Hebamme unverhofft das Gewand anhob, sodass er einen winzigen lila Fuß sah, der aus Santesas Leib ragte.
    »Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«
    Die Hebamme ließ das Gewand herabfallen. »Ein Junge.«
    Josephus schluckte, schlug das Kreuzeszeichen und sank auf die Knie.
    »In nomine patris, et filii, et spiritus sancti …«
    Doch während er betete, wünschte er mit aller Macht, es möge eine Totgeburt werden.
     
    In einer rauen Novembernacht, neun Monate zuvor, hatte der Sturmwind um die Hütte des Steinmetzen gepfiffen. Ubertus legte ein letztes Mal Feuerholz nach und ging von Liegestatt zu Liegestatt, um nach seinen Sprösslingen zu sehen, die sich zu zweit oder dritt eine Matratze teilten, bis auf Julianus, der alt genug für einen eigenen Strohsack war. Dann kroch er neben seine Frau ins Bett. Sie war kurz vor dem Einschlafen, erschöpft nach einem langen Tag voll harter Arbeit.
    Ubertus zog sich die schwere Wolldecke bis unters Kinn. Er hatte sie in einer Kiste aus Zedernholz aus Umbrien mitgebracht, und sie hatte ihm in diesem rauen Klima gute Dienste geleistet. Er spürte Santesas warmen Leib neben sich und legte die Hand auf ihre sich sanft hebende und senkende Brust. Die Begierde packte ihn, eine Lust, die befriedigt werden musste. Bei Gott, er verdiente ein paar Freuden auf dieser Welt der Mühsale. Er schob die Hand nach unten und drückte ihre Beine auseinander.
    Santesa war nicht mehr schön. Vierunddreißig Jahre und neun Kinder hatten ihren Tribut gefordert. Ihr Körper war schlaff, ihr Gesicht verhärmt, und sie zog ständig eine finstere Miene, weil ihre fauligen Backenzähne schmerzten. Aber sie war sich ihrer ehelichen Pflichten bewusst, und als sie die Absicht ihres Mannes erkannte, flüsterte sie nur: »Es ist die Zeit des Monats, in der man an die Folgen denken muss.«
    Er wusste genau, was sie meinte.
    Ubertus’ Mutter hatte dreizehn Kinder zur Welt gebracht, acht Jungen und fünf Mädchen. Nur acht hatten die Kindheits-und Jugendjahre überlebt. Ubertus war der siebte Sohn, der Junge, der der Sage zufolge ein Zauberer werden würde, ein Beschwörer finsterer Mächte – ein Hexenmeister, sagten manche. Jedermann in ihrem Bergdorf kannte das alte Volkswissen um den siebten Sohn eines siebten Sohnes, aber niemand war je einem begegnet.
    In seiner Jugend war Ubertus ein Frauenheld gewesen, und er hatte den Ruch der Gefahr, die angeblich seinen Lenden innewohnte, weidlich ausgenutzt. Möglicherweise hatte er damit Santesa geködert, das hübscheste Mädchen im Dorf. Tatsächlich hatten er und Santesa über viele Jahre hinweg ihr Vergnügen aneinander, bis nach der Geburt von Lucius, ihrem sechsten Sohn, die Liebesspiele aufhörten und sich ein gewisses Bedenken in ihre geschlechtlichen Vereinigungen einschlich. Bangen Gefühls erwarteten sie jede der folgenden drei Geburten. Santesa versuchte das Geschlecht des Kindes vorauszusagen, indem sie sich mit einem Dorn in den Finger stach und einen Blutstropfen in eine Schale mit Quellwasser fallen ließ. Ein sinkender Tropfen deutete auf einen Jungen hin, doch manchmal versank der Tropfen, und manchmal schwamm er. Glücklicherweise war jedes Kind ein Mädchen gewesen.
    Ubertus stieß sich in sie. Sie hielt die Luft an und flüsterte: »Ich bete darum, dass es wieder ein Mädchen wird.«
     
    Jetzt, tief in der Nacht, drohte auf der Bettstatt großes Ungemach, trotz Josephus’ inbrünstiger Fürbitten. Santesa war inzwischen zu schwach zum Schreien, und ihr Atem ging flach. Der kleine Fuß wurde dunkler, tiefblau wie die blaue Tonerde, die von den Töpfern der Abtei so geschätzt wurde.
    Schließlich erklärte die Hebamme, dass etwas getan werden müsse, sonst sei alles verloren. Es folgte eine hitzige Debatte, dann kam man überein: Das Kind musste gewaltsam herausgezogen werden. Die Hebamme wollte mit beiden Händen in Santesas Körper greifen, die Beine umfassen und so fest wie nötig daran ziehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde das Kind dabei zu Tode kommen, aber die Mutter könnte überleben. Wenn man nichts unternahm, wäre beiden der Tod gewiss.
    Die Hebamme wandte

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