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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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Schwierigkeiten mühelos meisterte und ihm das Lernen leichtfiel.
    Dennis Shackleton, ein Luft-und Raumfahrtingenieur bei Raytheon, war stolz darauf, dass er seine mathematischen Fähigkeiten an seinen Sohn vererbt hatte. An Marks fünftem Geburtstag, der im Kreis der Familie in ihrem hübschen zweistöckigen Haus gefeiert wurde, holte er ein kariertes Blatt Papier und sagte: »Der Satz des Pythagoras!« Der schmächtige Junge schnappte sich einen dicken Buntstift, ging vor den Augen seiner Großeltern, Tanten und Onkel zum Esszimmertisch, zeichnete ein großes Dreieck und schrieb a 2 + b 2 = c 2 darunter. »Gut!«, rief sein Vater und schob seine dicke schwarze Brille hoch. »Und was ist das?«, fragte er und deutete mit dem Zeigefinger auf den langen Schenkel des Dreiecks. Die Großväter kicherten, als der Junge einen Moment lang das Gesicht verzog und dann antwortete: »Der Hippopotamus!«
    Die erste Enttäuschung erlebte Mark als Teenager, als ihm klarwurde, dass er körperlich weit schwächer entwickelt war als geistig. Er fühlte sich überlegen – nein, er war den Sportnarren und Klassenclowns an seiner Highschool überlegen – aber die Mädchen nahmen trotzdem nur seine dürren Beine und die Hühnerbrust wahr, nicht aber Marks innere Stärken, den Intellektuellen mit hochfliegenden Plänen, den vor Witz sprühenden Gesprächspartner und angehenden Schriftsteller, der kunstvolle Science-Fiction-Storys über Außerirdische verfasste, die ihre Widersacher eher mit ihrer überragenden Intelligenz als mit roher Kraft besiegten. Wenn nur die niedlichen Mädchen mit den prallen Brüsten mit ihm reden würden, statt zu kichern, wenn er durch die Flure stelzte oder im Klassenzimmer in der ersten Reihe eifrig die Hand streckte.
    Als zum ersten Mal ein Mädchen nein zu ihm sagte, schwor er sich, dass es auch das letzte Mal sein würde. Im zweiten Studienjahr, als er endlich den Mut aufgebracht und Nancy Kislik ins Kino eingeladen hatte, hatte sie ihn nur mit einem seltsamen Blick angesehen und kühl »Nein« gesagt. Darauf schottete er sich jahrelang ab, bis weit nach dem Abschluss am MIT, bis er als junger Angestellter bei einer Firma für Datensicherung, der über Aktienoptionen verfügte und ein Cabrio fuhr, einer unscheinbaren Systemanalytikerin den Hof machte und zum ersten Mal zum Zuge kam. Aber damals auf der Highschool in Lexington hatte er sich in eine Parallelwelt aus Matheclub und Computerclub zurückgezogen, wo er der Coolste der Uncoolen war. Bei Zahlen blitzte er nie ab. Ebenso wenig wie bei Software-Codes.
    Nervös ging Mark in seiner Küche auf und ab und verwandelte sich in sein Alter Ego Peter Benedict, den Mann von Welt, den Glücksspieler der Extraklasse und Drehbuchautor. Das war ein ganz anderer Mann als Mark Shackleton, der Regierungsbeamte und Computerfreak. Er atmete ein paar Mal tief durch und trank den letzten Schluck seines lauwarmen Kaffees. Heute ist der Tag , heute ist der Tag , heute ist der Tag – er sprach sich Mut zu, betete fast, bis er jäh aus seinem Traum gerissen wurde, weil er sein verhasstes Spiegelbild im Glas der Schiebetür zur Veranda sah. Ob Mark oder Peter, es spielte keine Rolle. Er war schmächtig, er hatte eine spitze Nase, und er bekam eine Glatze. Er versuchte sich von dem Bild loszureißen, aber ein unangenehmes Wort setzte sich in seinen Gedanken fest: jämmerlich.
     
    Mark hatte kurz nach seinem Besuch bei ATI angefangen, »Zocker« zu schreiben. Bei dem Gedanken an Bernie Schwartz und seine afrikanischen Masken wurde ihm unwohl, aber er hatte praktisch ein Drehbuch über Kartenzähler in Auftrag gegeben, oder etwa nicht? Die Erfahrung, die er bei ATI gemacht hatte, war ekelhaft. Er hing an seinem abgelehnten Manuskript ebenso sehr wie Eltern an ihrem erstgeborenen Kind, aber jetzt hatte er einen neuen Plan: Er würde das zweite Drehbuch verkaufen und es dann als Hebel benutzen, um auch sein erstes an den Mann zu bringen. Er schwor sich, dass er es niemals aufgeben würde.
    Daher stürzte sich Mark in das neue Projekt, schrieb jeden Abend, wenn er von der Arbeit heimkam, und jedes Wochenende Handlungsstränge und Dialogzeilen und war nach drei Monaten fertig – und er hielt es für mehr als gut, vielleicht war es sogar genial. Seiner Vorstellung nach würde daraus ein Film für große Stars werden, die ihn, so glaubte er, am Set – oder im Constellation? – ansprechen und ihm erklären würden, wie sehr sie die Sätze mochten, die er ihnen in den Mund

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