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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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wenn die Tage warm waren, die Nächte kühl und angenehm und die Luft nach frischgemähtem Weizen, Gerste und reifen Äpfeln roch. Er dankte dem Herrn für die reichen Erträge der Felder rund um die Klostermauern. Die Brüder konnten damit die schwindenden Vorräte im Kornspeicher aufstocken und ihre Eichenfässer mit frischem Ale füllen. Zwar verabscheute Josephus jegliche Völlerei, aber er mochte es auch nicht, wenn das Bier rationiert werden musste, was im Hochsommer regelmäßig geschah.
    Seit drei Jahren war der Umbau der hölzernen Kirche in einen Steinbau vollendet. Der viereckige, schlank zulaufende Turm ragte so hoch auf, dass sich die Schiffe und Boote, die die Insel ansteuerten, an ihm orientieren konnten. Der abgeteilte Altarraum an der Ostseite hatte niedrige, dreieckige Fenster, durch die bei den täglichen Gottesdiensten ein prachtvolles Licht in das Sanktuarium fiel. Das Hauptschiff war so lang, dass dort nicht nur die derzeitige Gemeinschaft Platz fand, sondern das Kloster künftig noch eine größere Zahl von Dienern Christi aufnehmen konnte. Josephus betete oft um Vergebung und tat Buße wegen des Stolzes, der sich in seiner Brust regte angesichts der Rolle, die er bei dem Bau gespielt hatte. Natürlich kannte er nicht die ganze Welt, aber er stellte sich vor, dass die Kirche von Vectis eine der größten Kathedralen der Christenheit war.
    In letzter Zeit hatten die Maurer hart gearbeitet, um den Kapitelsaal fertigzustellen. Josephus und Oswyn hatten beschlossen, dass danach das Skriptorium an die Reihe kommen und ebenfalls deutlich vergrößert werden sollte. Die Abschriften der Bibel und der Regula Benedicti , die sie herstellten, sowie die mit goldener Tinte geschriebenen Petrusbriefe wurden hoch geschätzt, und Josephus hatte gehört, dass manche Kopien bis nach Irland, Italien und Francia gelangt waren.
    Es war Vormittag, kurz vor der dritten Stunde, und er war auf dem Weg vom Waschraum zum Refektorium, wo er sich einen Kanten braunes Brot, ein Stück Hammelfleisch, ein bisschen Salz und einen Krug Bier besorgen wollte. Sein Magen knurrte vor lauter Vorfreude, denn Oswyn hatte angeordnet, dass sie nur eine Mahlzeit am Tag zu sich nehmen sollten, um den Geist der Gemeinschaft zu stärken und ihre Fleischeslust zu mindern. Nach langer Meditation und persönlichem Fasten, das sich der gebrechliche Abt eigentlich nicht leisten konnte, hatte Oswyn der gesamten Gemeinschaft, die sich pflichtgetreu im Kapitelsaal versammelt hatte, seine Erkenntnisse anvertraut. »Wir müssen täglich ebenso fasten, wie wir essen müssen«, hatte er erklärt. »Wir müssen den Leib bescheidener und sparsamer nähren.«
    Folglich wurden sie alle dünner.
    Josephus hörte, wie jemand seinen Namen rief. Guthlac, ein großer, grobschlächtiger Mann, der Soldat gewesen war, bevor er ins Kloster ging, rannte so schnell auf ihn zu, dass das Klatschen seiner Sandalen von den Mauern widerhallte.
    »Prior«, sagte Guthlac. »Ubertus, der Steinmetz, ist am Tor. Er wünscht sofort mit dir zu sprechen.«
    »Ich bin auf dem Weg zum Refektorium, um etwas zu essen«, erwiderte Josephus. »Meinst du nicht, dass er etwas warten kann?«
    »Er hat gesagt, es ist dringend«, erwiderte Guthlac und eilte davon.
    »Wo willst du hin?«, rief ihm Josephus nach.
    »Zum Refektorium, Prior. Etwas essen.«
    Ubertus war bereits innerhalb der Klostermauern, beim Eingang zum Hospiz, dem Gästehaus für Besucher und Reisende, einem niedrigen Holzgebäude mit schlichten Pritschenreihen. Dort stand er wie angewurzelt und regte sich nicht. Von weitem dachte Josephus, er wäre allein, doch als er näher kam, sah er, dass hinter Ubertus ein Kind stand. Seine Beinchen waren zwischen den enormen Unterschenkeln des Steinmetzes zu erkennen.
    »Womit kann ich dir helfen, Ubertus?«, fragte Josephus.
    »Ich habe das Kind mitgebracht.«
    Josephus verstand nicht, was er wollte.
    Ubertus griff nach hinten und zog den Jungen nach vorn. Das Kind war barfuß, ein kleiner Kerl, dünn wie ein Zweig, mit hellen, rötlich braunen Haaren. Sein Hemd war schmutzig und zerschlissen, sodass die Rippen und die magere Brust zu sehen waren. Seine Hose war zu lang, stammte vermutlich von einem älteren Bruder, und er war noch nicht hineingewachsen. Die zarte Haut war weiß wie Pergament, die Augen funkelten grün wie Edelsteine, und sein Gesicht war so teilnahmslos wie die Steinblöcke seines Vaters. Er presste die rosigen Lippen so fest zusammen, dass sich sein Kinn

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