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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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wieder weg. Er könnte sich volllaufen lassen, aber das konnte er überall. Dann fiel ihm etwas ein, und er lächelte leicht. Er klappte sein Handy auf und wählte eine Nummer.
     
    Sobald Nancy die Tür zu Wills Apartment geöffnet hatte, spannte sie sich an.
    Irgendwo lief Musik.
    Im Wohnzimmer stand eine offene Reisetasche.
    »Hallo?«, rief sie.
    Die Dusche lief.
    Sie rief noch einmal lauter: »Hallo?«
    Das Wasserrauschen riss ab, und Nancy hörte eine Stimme aus dem Badezimmer. »Hallo?«
    Eine nasse junge Frau, die sich ein Handtuch um den Körper geschlungen hatte, kam heraus. Sie war Anfang zwanzig, blond, graziös und wirkte angenehm natürlich. Pfützen bildeten sich um ihre hübschen kleinen Füße. Furchtbar jung, dachte Nancy, und wunderte sich sofort über ihre erste Reaktion auf die Unbekannte – war da so etwas wie Eifersucht?
    »Oh, hi«, sagte die Frau. »Ich bin Laura.«
    »Nancy.«
    Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen. Dann sagte Laura: »Will ist nicht da.«
    »Ich weiß. Er hat mich gebeten, etwas für ihn zu holen.«
    »Nur zu, ich bin gleich weg«, sagte Laura und zog sich ins Badezimmer zurück.
    Nancy wollte die Rechnung der Kabelgesellschaft suchen und verschwinden, bevor die Frau wieder aus dem Bad kam, aber sie war zu langsam – und Laura war zu schnell. Sie war barfuß, trug Jeans und ein T-Shirt und hatte ein Handtuch um ihre Haare geschlungen. Die Kochnische war unangenehm eng für sie beide.
    »Kabelgebührenrechnung«, sagte Nancy leise.
    »Er nervt total, was das ATL angeht«, sagte Laura und fügte dann, als Nancy sie verständnislos anschaute, hinzu: »Alltagsleben.«
    »Er ist ziemlich beschäftigt«, hob Nancy zur Verteidigung an.
    »Und Sie kennen ihn – woher?«, wollte Laura wissen.
    »Wir arbeiten zusammen.« Nancy wappnete sich für ihre nächste Antwort – nein, ich bin nicht seine Sekretärin.
    Doch sie wurde überrascht. »Sind Sie eine FBI-Agentin?«
    »Ja.« Sie machte Laura nach. »Und Sie kennen ihn – woher?«
    »Er ist mein Vater.«
    Eine Stunde später redeten sie immer noch. Laura trank Wein, Nancy Leitungswasser mit Eis – zwei Frauen mit einem gemeinsamen Thema, das sie beide nervte: Will Piper.
    Nachdem geklärt worden war, welche Rolle sie in seinem Leben spielten, wurden sie sich schnell sympathisch. Nancy war erleichtert, dass diese Frau nicht Wills Freundin war; Laura war erleichtert, dass ihr Vater eine anscheinend relativ normale Teamkollegin hatte. Laura war an diesem Morgen zu einer in aller Eile angesetzten Besprechung per Zug aus Washington gekommen. Als sie ihren Vater nicht hatte erreichen können, um zu fragen, ob sie bei ihm übernachten könne, war sie zu dem Schluss gekommen, dass er vermutlich verreist war, und hatte sich mit ihrem eigenen Schlüssel hereingelassen.
    Laura war anfangs recht zurückhaltend, aber nach dem zweiten Glas Wein wurde sie gesprächiger. Der Altersunterschied zwischen ihnen betrug nur sechs Jahre, und sie fanden bald Gemeinsamkeiten über Will hinaus. Im Gegensatz zu ihrem Vater war Laura offenbar ein Kulturmensch und kannte sich mit Musik und Kunst ebenso gut aus wie Nancy. Sie hatten das gleiche Lieblingsmuseum, das Met, die gleiche Lieblingsoper, La Bohème , und den gleichen Lieblingsmaler, Monet.
    Eigenartig, fanden sie zwar beide, aber lustig.
    Laura hatte vor zwei Jahren das College abgeschlossen und schlug sich als Teilzeitbürokraft durch. Sie wohnte mit ihrem Freund, einem Journalistikstudenten an der American University, in Georgetown. Und jetzt stand sie in ihrem zarten Alter kurz vor einem entscheidenden Schritt in ihrem Leben; jedenfalls glaubte sie das. Ein kleiner, aber angesehener Verlag interessierte sich nämlich ernsthaft für ihren ersten Roman. Obwohl sie seit ihrer Teenagerzeit schrieb, hatte ihr der Englischlehrer an der Highschool erklärt, sie könne sich erst als Schriftstellerin bezeichnen, wenn sie etwas veröffentlicht hätte. Sie wollte unbedingt Schriftstellerin sein.
    Laura war unsicher, aber ihre Freunde und Mentoren hatten sie ständig gedrängt. Ihr Buch müsse gedruckt werden, hatten sie ihr erklärt, deshalb hatte sie das Manuskript in ihrer Naivität unaufgefordert und ohne einen Agenten einzuschalten, an ein Dutzend Verlage geschickt und danach noch eine Drehbuchversion geschrieben, weil sie es sich auch als Film vorstellen konnte. Die Zeit verging, und sie gewöhnte sich allmählich an die dicken Pakete vor ihrer Tür, die zurückgeschickten Manuskripte plus

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