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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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lauter Schreck hätte er sich beinahe im Schlafzimmer versteckt. Er atmete tief durch, ging zögernd zur Tür und öffnete sie einen Spalt.
    »Will?«, fragte er ungläubig. »Was machst du denn hier?«
    Will Piper stand mit seinem breiten, ungezwungenen Lächeln vor ihm. »Mit mir hast du wohl nicht gerechnet, was?«
    Will bemerkte, dass Mark wacklig wie ein Kartenhaus war und um Fassung rang. »Nein. Habe ich nicht.«
    »Tja, ich war dienstlich in der Stadt und dachte, ich schau mal bei dir vorbei. Komme ich ungelegen?«
    »Nein. Ist schon gut«, sagte Mark mechanisch. »Ich habe bloß niemanden erwartet. Möchtest du reinkommen?«
    »Klar. Ein paar Minuten. Ich muss ein bisschen Zeit totschlagen, bevor ich zum Flughafen fahre.«
    Will folgte ihm ins Wohnzimmer, und an dem steifen Gang und der hohen Stimme seines alten Zimmergenossen erkannte er, dass er sich nicht getäuscht hatte, was Marks Anspannung und Unbehagen anging. Unwillkürlich fing er an, in Profiler-Kategorien zu denken. Es war keine Zauberei – er hatte den Dreh schon immer drauf, diese Fähigkeit, blitzschnell die Gefühle, inneren Konflikte und Beweggründe eines Menschen zu ergründen. Als Kind hatte er mit Hilfe dieser Begabung eine Pufferzone zwischen zwei alkoholabhängigen Eltern geschaffen. Er hatte genau das getan und gesagt, was nötig war, damit ihre Bedürfnisse erfüllt waren und eine gewisse Ausgeglichenheit und Stabilität bewahrt werden konnte.
    Oft genug hatte er diese Gabe auch zu seinem Vorteil eingesetzt. In seinem Privatleben benutzte er sie, um Freunde und einflussreiche Leute für sich zu gewinnen. Die Frauen in seinem Leben würden sagen, er habe sie auf Teufel komm raus manipuliert. Und in seinem Berufsleben hatte er dadurch einen eindeutigen Vorteil gegenüber den Kriminellen, mit denen er es zu tun bekam.
    Will fragte sich, warum Mark so nervös war – eine Phobie, eine Art misanthropische Persönlichkeitsstörung, oder hatte es eher ganz konkret etwas mit seinem Besuch zu tun?
    Er setzte sich auf das unbequeme Sofa und versuchte Mark zu beruhigen. »Weißt du, nachdem wir uns bei dem Klassentreffen wiedergesehen haben, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mir die ganzen Jahre nie die Mühe gemacht habe, dich zu besuchen.« ’
    Mark saß ihm stumm gegenüber, die Beine krampfhaft übereinandergeschlagen.
    »Also, ich komme ja kaum nach Las Vegas – dieses Mal bin ich auch bloß über Nacht hier –, aber als ich gestern auf dem Weg zum Hotel war, hat mich jemand auf die Shuttlemaschinen zur Area 51 hingewiesen, und da musste ich an dich denken.«
    »Wirklich?«, krächzte Mark. »Wie das?«
    »Du hast irgendwie angedeutet, dass du dort arbeitest, nicht?«
    »Habe ich das? Ich kann mich nicht erinnern.«
    Will dachte an Marks sonderbares Verhalten, als das Thema bei dem Wiedersehensessen zur Sprache gekommen war. Das sah nach verbotenem Terrain aus. Will war es egal. Der Typ war offenbar ein hoher Geheimnisträger und nahm die Sache ernst. Gut für ihn. »Tja, wie auch immer. Spielt ja keine Rolle, wo du arbeitest, es hat mich bloß auf die Idee gebracht, und deshalb habe ich beschlossen, mal vorbeizuschauen, das ist alles.«
    Mark wirkte immer noch skeptisch. »Wie hast du mich gefunden? Ich bin nicht eingetragen.«
    »Hab ich gemerkt. Ich muss zugeben – ich habe in der FBI-Dienststelle hier in einer Datei nachgesehen, als ich mit der Auskunft nicht weiterkam. Aber auch da warst du nicht erfasst, mein Guter. Muss ein interessanter Job sein, den du da hast! Also habe ich Zeckendorf angerufen und gefragt, ob er deine Nummer hat. Hatte er nicht, aber offenbar hast du seiner Frau deine Adresse gegeben, damit sie dir das Bild da schicken konnte.« Er deutete auf das Wiedersehensfoto auf dem Tisch. »Ich habe meines auch auf den Kaffeetisch gestellt. Vermutlich sind wir einfach zwei sentimentale Typen. Sag mal, du hast nicht zufällig was zu trinken da?«
    Will sah, dass Mark leichter atmete. Er hatte das Eis gebrochen. Vermutlich hatte der Typ einfach eine Angst-Störung und brauchte eine gewisse Zeit, bis er sich entspannen konnte.
    »Was möchtest du denn?«, fragte Mark.
    »Hast du Scotch?«
    »Tut mir leid, nur Bier.«
    »Zur Not frisst der Teufel …«
    Als Mark in die Küche ging, stand Will auf und schaute sich aus reiner Neugier ein bisschen um. Das Wohnzimmer war eher karg eingerichtet, mit nichtssagenden modernen Sachen, die auch im Foyer eines öffentlichen Gebäudes hätten stehen können. Alles war

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