Die Namen der Toten
zur Sache. Er schlug einen härteren Tonfall an. »Also, Peter, verraten Sie mir jetzt, weshalb Sie glauben, dass meine Firma in Schwierigkeiten steckt?«
Mark hatte keinerlei betriebswirtschaftliche Ausbildung, aber er hatte sich im Silicon Valley selbst beigebracht, wirtschaftliche Verlautbarungen zu lesen und zu interpretieren. Dann hatte er angefangen, die Berichte seiner eigenen Datensicherheitsfirma an die Finanzaufsichtsbehörde zu analysieren, sich dann andere High-Tech-Unternehmen vorgenommen und nach guten Investitionsmöglichkeiten gesucht. Wenn er auf ein Buchführungskonzept stieß, das er nicht verstand, beschäftigte er sich so lange damit, bis ihm alles klar war, und schließlich verfügte er über ein Wissen, um das ihn jeder vereidigte Buchprüfer beneidet hätte. Die der Buchführung zugrundeliegende Logik und Mathematik bereitete seinem Verstand keinerlei Probleme.
Mit gepresster Stimme ratterte er sämtliche Unstimmigkeiten im letzten 10-Q herunter, dem vierteljährlichen Wirtschaftsbericht, den Desert Life bei der Regierung eingereicht hatte. Er hatte die Spuren eines Betrugs entdeckt, die an der Wall Street niemand bemerkt hatte. Er hatte sogar erraten, dass die Firma vermutlich in verbotenen Gewässern nach hohen Erträgen fischte.
Elder hörte fasziniert zu, während ihm zugleich flau im Magen wurde.
Als Mark fertig war, nahm Elder einen kleinen Bissen von seiner Waffel und kaute schweigend. Nachdem er ihn hinuntergeschluckt hatte, sagte er: »Ich sage nichts dazu, ob Sie recht haben oder sich irren. Ich nehme an, Sie wollen mir gleich erzählen, wie Sie Desert Life Ihrer Meinung nach helfen können.«
Mark nahm den braunen Briefumschlag, den er auf seinem Schoß liegen hatte, und schob ihn über den Tisch. Er sagte nichts, aber Elder wusste auch so, dass er ihn öffnen sollte. In dem Umschlag steckten mehrere Zeitungsausschnitte.
Alle drehten sich um den Doomsday-Killer.
»Was, zum Teufel, soll das?«, fragte Elder.
»Auf diese Weise können Sie Ihre Firma retten.« Mark flüsterte fast. Jetzt war der Moment gekommen, und ihm wurde beinahe schwindlig.
Dann schien ihm die Situation wieder zu entgleiten.
Elder reagierte ärgerlich und wollte aufstehen. »Was sind Sie, eine Art Irrer? Nur zu Ihrer Information, ich kannte eines der Opfer!«
»Wen?«, krächzte Mark.
»David Swisher.« Elder griff nach seiner Brieftasche.
Mark bot seinen ganzen Mut auf und sagte: »Sie sollten sich wieder setzen. Er war kein Opfer.«
»Was meinen Sie damit?«
»Setzen Sie sich bitte und hören Sie mir zu.«
Elder gab nach. »Eines sage ich Ihnen. Mir gefällt der Verlauf, den dieses Gespräch nimmt, ganz und gar nicht. Sie haben eine Minute Zeit, mir diese Sache zu erklären, sonst bin ich weg, ist das klar?«
»Also, er war ein Mordopfer, nehme ich an. Er war nur kein Opfer des Doomsday-Killers.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil es keinen Doomsday-Killer gibt.«
6. Julius 795 – Vectis, Britannien
Der Abt von Vectis sah seine Spiegelung in einem der hohen Fenster des Kapitelsaals. Draußen war es stockdunkel, aber die Kerzen im Raum waren noch nicht gelöscht, sodass das Fenster wie ein Spiegel wirkte.
Er hatte einen ausladenden Bauch, runde Wangen und war der einzige erwachsene Mann in der Gemeinschaft, der keine Tonsur trug, da er völlig kahl war.
Ein junger Mönch, ein Iberer mit dunklem Haar und einem Bart, so dicht wie Bärenpelz, klopfte an die Tür und trat mit einem Kerzenlöscher ein. Er verbeugte sich leicht und widmete sich seiner Aufgabe.
»Guten Abend, Vater Abt.« Er sprach mit starkem Akzent.
»Guten Abend, José.«
Aufgrund seiner Intelligenz, seiner Fertigkeiten als Manuskriptillustrator und seines Humors mochte der Abt José mehr als alle anderen jungen Mönche. Er war selten missmutig, und wenn er vergnügt war, erinnerte sein Lachen den älteren Mann an das dröhnende Gelächter seines Freundes Matthias, dem Schmied, der die Glocke des Klosters vor vielen Jahren hergestellt hatte.
»Wie ist die Nachtluft?«, fragte der Abt.
»Sie duftet, Vater Abt, und überall zirpen die Grillen.«
Kurz darauf war es im Kapitelsaal dunkel. José ließ die beiden Kerzen in der Kammer des Abts brennen, eine auf seinem Lesetisch, die andere neben dem Bett, und wünschte seinem Oberen eine gute Nacht. Sobald er allein war, kniete der Abt neben seinem Bett nieder und sprach das gleiche Gebet, das er seit dem Tag sprach, da er Abt geworden war. »Gütiger Gott, bitte segne
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