Die namenlose Schoene
ganzes Leben hatte sie die Verantwortung für sich selbst übernommen. Nie hatte sie sich auf jemanden verlassen. Es war falsch gewesen, jetzt davon abzuweichen.
Heute Nacht musste sie über vieles nachdenken, und morgen früh musste sie ihr weiteres Leben planen. Ein Leben ohne Tucker Malone.
Emma erwachte am Sonntagmorgen mit dem Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Dann fiel ihr wieder die letzte Nacht ein. Tucker und das Hotelzimmer.
Schweren Herzens erinnerte sie sich an die Rückfahrt, die in eisigem Schweigen verlaufen war. Es gab nichts mehr zu sagen. Ganz sicher konnte sie Tucker nicht sagen, dass sie ihn liebte. Er suchte bei ihr schließlich nur Vergnügen.
Es war sieben Uhr. Vielleicht konnte sie eine Stunde am Computer arbeiten, bevor die Kinder erwachten. Das würde sie von Tucker und den unvermeidlichen Entscheidungen ablenken. Rasch zog sie sich an und ging nach unten. Tuckers Tür war noch geschlossen.
Eine halbe Stunde später blickte sie auf den Bildschirm des Monitors, fühlte jedoch Tuckers Nähe. Er stand trotz des Sonntags in Uniform in der Tür. „Fährst du zur Arbeit?” fragte sie lässig.
„Ich muss Unterlagen aus dem Büro holen, und dann fahre ich zum Gefängnis. Ich treffe mich mit dem Straßenräuber und seinem Anwalt.”
„Warum?”
„Weil ich einiges über ihn herausgefunden habe. Er ist kein gewöhnlicher Dieb, sondern eigentlich ein Familienvater, der arbeitslos wurde und keinen Ausweg mehr sah. Er lehnte jegliche Wohltätigkeit ab und wusste nicht, wie er die Familie ernähren und die Rechnungen bezahlen sollte. Hauptsächlich hat er sich mit Billard über Wasser gehalten. Die Raubüberfälle beging er nur aus Verzweiflung. Er hat keine Vorstrafen und kam früher auch nie in Schwierigkeiten. Ich möchte daher dem Staatsanwalt einen Vorschlag machen.”
Tucker war ein guter, ein fürsorglicher Mann. Trotzdem wollte er sein Leben nicht ändern. „Ho ffentlich verläuft das Treffen gut.” Sie überlegte kurz. „Tucker, ich habe nachgedacht. Ich sollte nach Cedarton zurückkehren.”
„Weil der richtige Zeitpunkt gekommen ist, oder wegen gestern Abend?”
„Wegen gestern Abend.”
Er blickte aus dem Fenster. „Der Grund für deinen Aufenthalt hier hat sich nicht verändert. Ich habe Josie noch nicht gefunden, und du wärst daheim allein und hättest keine Hilfe. Überstürze die Entscheidung nicht.
Denk nach, bis ich wieder hier bin. Dann reden wir. Einverstanden?”
Heute Morgen konnte sie nicht zwischen dem Sheriff und dem Mann unterscheiden. Sie wusste nicht, ob er nur praktisch dachte oder ob ihm ihr Weggang wirklich etwas ausmachte. Vielleicht war sie noch zu aufgeregt, um eine gute Entscheidung zu treffen. Einige Stunden konnten nicht schaden.
Plötzlich hörte sie Geräusche aus dem Babyphon, das sie ins Arbeitszimmer mitgenommen hatte. Sammy war wach und weckte bestimmt Steffie bald. Sie stand auf und ging zur Tür, doch Tucker wich ihr nicht aus, sondern blieb stehen und sah sie an.
„Ich muss mich um die Kinder kümmern.”
„Wirst du noch hier sein, wenn ich zurückkomme?” fragte er.
„Ja. Wir sprechen später über alles.”
Er schien noch mehr sagen zu wollen - oder sie küssen zu wollen. Doch das kam nicht mehr in Frage. Sie wusste jetzt, was er für sie empfand.
Er ließ sie an sich vorbei. „Ich sollte im Lauf des Nachmittags wieder hier sein. Ruf mich an, falls du mich vorher brauchst.”
Das war das Problem. Sie wollte ihn nicht brauchen. Zum Glück meldeten sich die Kinder jetzt lauter. „Bis später”, sagte sie und ging zur Treppe.
Tucker verabschiedete sich nicht, bevor er ging, und Emma hätte am liebsten wieder geweint.
Der Tag verging nur langsam, und sogar die Kinder wirkten unruhig.
Sammy weinte viel. Wahrscheinlich bekam er wieder einen Zahn. Emma versuchte, ihn abzulenken, so gut sie konnte. Doch wenn sie sich in Tuckers Haus umsah, wurde ihr das Herz schwer. Sie hatte es für Weihnachten schmücken und ihm beim Aufstellen des Baums helfen wollen, den sie ausgesucht hatte.
Sie wollte nicht mehr an ihren Traum, sondern an die Rückkehr nach Cedarton denken, während sie die Kinder nach dem Mittagessen zu einem Nickerchen hinlegte. Doch das Leben in Cedarton wirkte öde, verglichen mit dem in Storkville. Hier hatte sie genau wie .die Kinder Freunde gefunden.
Nachdem sie eine Tasse Wasser in die Mikrowelle gestellt hatte, um sich Tee zu machen, holte sie für das Abendessen Hackfleisch aus dem Gefrierschrank. Doch
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