Die namenlose Schoene
ihn in einen Aufruhr, mit dem er nicht umgehen konnte. Jetzt Sammy zu halten, brachte ihm jedoch gleichzeitig Freude und Kummer.
Sammy wirkte überhaupt nicht schläfrig. Wenn der Kleine wach blieb, weckte er sicher Steffie. Tucker setzte sich in den Schaukelstuhl und legte sich Sammy in die Armbeuge. Leise erzählte er eine Geschichte, die er früher auch Chad erzählt hatte. Es ging um einen kleinen Jungen, der sich in den Wald wagte, um einen Schatz zu suchen.
Nebenan wurde Emma wach, ohne zu wissen, was sie geweckt hatte. Hatte eines der Kinder geschrien?
Sie hörte ein Geräusch aus dem Kinderzimmer. Der Fußboden knarrte unter dem Schaukelstuhl. Sie stieg aus dem Bett, zog den Hausmantel an und öffnete leise die Tür. Der Schein des Nachtlichts fiel aus dem Kinderzimmer. Sie warf einen Blick hinein.
Bei dem Anblick lächelte sie unter Tränen. Tucker hielt Sammy zärtlich im Arm, wiegte ihn und erzählte ihm leise eine Geschichte. Seine Stimme beruhigte den Jungen, der die Augen schon fast schloss. Diesen Moment würde sie nicht so bald vergessen, und sie wollte nicht stören. Tucker kam den Kindern näher, als er eigentlich wollte. Sie konnten einem das Herz rauben, ehe man es sich versah, und dagegen konnte sich auch Tucker nicht schützen.
Tucker Malone war zum Vater geboren. Er besaß alle Fähigkeiten, um ein Kind mit Geduld und Liebe großzuziehen. Wieso sah er das nicht ein? Wieso begriff er nicht, wie viel er noch immer zu geben hatte? Wenn er sich der Liebe öffnete, würde der Schmerz nachlassen und vielleicht sogar ganz verschwinden.
Er würde jedoch nicht auf sie hören, wenn sie ihm das sagte. Das musste er selbst herausfinden.
Emma kehrte lautlos in ihr Zimmer zurück. Im Bett schloss sie die Augen und sah vor sich, wie Tucker Sammy schaukelte. Sheriff Tucker Malone war ein guter Mensch, der Mann, den sie liebte. Vielleicht konnte sie ihm das am Samstagabend sagen. Und vielleicht fand sie dann heraus, ob er sie auch liebte.
Als Emma am Samstagabend die Treppe hinunterging, saß Tante Gertie mit den Kindern auf dem Fußboden. Sie trug Jeans und ein Sweatshirt von den Dallas Cowboys, und niemand sah ihr das Alter an, das sie auch keinem verriet. „Was sehen wir doch hübsch aus”, stellte die alte Frau fest und betrachtete Emma.
Emma hatte versucht, die Locken mit einem schwarzen Seidenband auf dem Kopf zusammenzuhalten, doch zahlreiche Locken hatten sich schon wieder befreit. Trotzdem gefiel sie sich so. Der Stehkragen des Kleides hatte eine silberne Borte, und winzige schimmernde Knöpfe hielten das Kleid bis zum Saum zusammen. Die schwarze Ledertasche passte zu den Schuhen mit den hohen Absätzen, und sie war etwas nervös.
Tucker kam in diesem Moment ins Wohnzimmer und sah sie fasziniert an. Unter seinem Blick fühlte sie sich gleich wohler. Auch Tucker sah in dem dunkelgrauen Anzug mit der schwarz und grau gestreiften Krawatte besser aus als je zuvor. Das weiße Hemd kam frisch aus der Wäscherei und war perfekt gebüge lt.
Er griff nach dem schwarzen Samtcape, das über einem Sessel hing, und reichte es ihr. „Das ist nicht besonders dick. Wirst du auch nicht frieren?”
Wenn Tucker bei ihr war, wurde ihr bestimmt nicht kalt. „Das geht schon”, versicherte sie. Als er ihr das Cape um die Schultern legte, strichen seine Finger über ihren Nacken. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken. Dieser Abend versprach viel.
Nachdem sie das Cape geschlossen hatte, verabschiedete sie sich von den Kindern und wünschte ihnen eine gute Nacht.
„Es könnte spät werden”, sagte Tucker zu Tante Gertie.
„Macht euch deshalb keine Gedanken. Ich habe schon oft in meinem Leben auf der Couch geschlafen. Außerdem habt ihr mich abgeholt und bringt mich auch wieder zurück. Für meinen Einkaufswagen ist es jetzt zu kalt.”
Tucker lächelte. „Das dachte ich mir. Die Nummer des Hotels finden Sie am Kühlschrank. Wir halten uns im großen Ballsaal auf.”
Tante Gertie winkte ab und nahm Steffie auf den Schoß. „Macht euch keine Sorgen. Wir kommen schon klar. Ich freue mich sogar auf ein wenig Ruhe, sobald die beiden im Bett sind. Seit meine Verwandten hier sind, geht es in meinem Haus wie auf dem Hauptbahnhof zu. Ich liebe alle, aber manchmal wird es doch sehr laut. Beeilt euch jetzt und feiert schon mal Weihnachten.”
Tucker und Emma hatten Storkville schon im Pick-up verlassen, als Tucker bemerkte: „Du siehst heute Abend sehr schön aus.”
Sie warf ihm einen Blick zu.
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