Die namenlose Schoene
während sie noch überlegte, was sie damit machen sollte, schellte es an der Tür. Vielleicht war es Camille, die noch mehr Kleidung für den Secondhandshop brachte. Emma hatte bestimmt schon zehn Kartons durchgesehen, die jetzt in der Garage standen.
Als sie die Haustür öffnete, brachte sie kein Wort hervor. Es war Josie!
Das kastanienbraune Haar hing glatt auf die Schultern herunter, und die großen grünen Augen wirkten traurig und ängstlich. Sie trug Jeans und Parka.
Emma schlang die Arme um ihre Schwester und drückte sie an sich.
„Lieber Himmel, du bist es! Geht es dir gut? Ich habe mir solche Sorgen gemacht!”
Josie schwieg und begann zu weinen. Emma legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie ins Haus. Sie hatte unzählige Fragen, wollte Josie jedoch nicht wieder vertreiben. Sie
musste unbedingt wissen, was los war.
Josie holte ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. „Ich muss dir viel erzählen. Es tut mir so Leid, dass ich einfach fortgegangen bin, aber ich wusste mir keinen anderen Rat. Was machst du hier? In deiner Nachricht stand, dass dieses Haus Tucker Malone gehört. Wer ist das? Wo sind die Zwillinge? Ich habe sie in der Kinderkrippe abgegeben. Wenn du hier bist, weißt du vielleicht, dass …”
„Zieh den Mantel aus und setz dich”, bat Emma. „Wir reden über alles.
Die Zwillinge schlafen oben im ersten Stock.”
„Sie sind hier?”
Emma seufzte, als ihre Schwester sie erstaunt ansah. „Das ist eine lange Geschichte.”
Josie sah sich nervös um. „Ist dieser Mr. Malone hier?”
„Nein. Josie, er ist der Sheriff im Cedar County.”
Ihre Schwester schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. „Um Himmels willen, ich wusste es! Ich stecke in Schwierigkeiten. Wird er mich verhaften? Vielleicht sollte ich nicht hier bleiben!” Sie warf einen Blick zur Treppe. „Aber ich muss Sammy und Steffie sehen. Ich war so lange nicht mehr bei ihnen.”
Emma zog Josie zum Sofa und setzte sich mit ihr.
Josie warf den Mantel auf einen Sessel. „Glaubst du, sie erinnern sich noch an mich?”
„Bestimmt. Sag mir, wieso du fortgelaufen bist”, flehte Emma. „Und verrate mir, wieso du die Kinder nicht bei mir ge lassen hast.”
„Es ist alles so schwierig”, sagte ihre Schwester.
„Fang ganz vorne an.”
Josie strich sich das Haar aus der Stirn, eine für sie typische Geste, wenn sie durcheinander war. „Ich habe diesen Mann kennen gelernt, als ich auf dem Besitz der McCormacks arbeitete. Er war viel älter als ich, schien mich aber wirklich zu mögen. Er war nett und freundlich und sehr charmant. Und er hat mich behandelt, wie ich das noch nie erlebt hatte.
Bei ihm fühlte ich mich schön und begehrt und nicht wie eine unwichtige Versagerin. Begreifst du das?”
„Ich weiß, was du meinst”, versicherte Emma.
„Er wollte aber nicht, dass jemand etwas von uns erfährt”, fuhr Josie fort. „Er meinte, es wäre romantischer, wenn unsere Beziehung geheim bleibt. Ich war damit einverstanden. Ich wollte nur mit ihm und sonst keinem zusammen sein, auch nicht mit seinen Angehörigen. Er führte mich sogar ins Chez Stark in das separate Speisezimmer. Du weißt schon wo niemand erfährt, wer sich dort aufhält. Das war echt cool.”
Emma vermutete, dass Tuckers Verdacht stimmte und Jackson Caldwell senior der Vater der Zwillinge war. Sie wollte es jedoch von Josie hören. „Wie lange hast du dich mit ihm getroffen?”
„Ungefähr drei Monate, und dann …” Sie holte tief Atem. „Er brach mit mir. Ich meinte es angeblich zu ernst. Dabei dachte ich, wir würden heiraten. Er war an einer Ehe nicht interessiert. Er suchte nur sein Vergnügen. Ach, Em, es war so schwer, ihn nicht mehr zu sehen. Einige Woche n später stellte ich fest, dass ich schwanger war. Ich wollte ihn anrufen, aber seine Haushälterin sagte, er wäre verreist.”
Josie schüttelte weinend den Kopf.
„Ich habe immer wieder angerufen, aber er war nicht da oder nahm meine Anrufe einfach nicht entgegen. Das letzte Mal versuchte ich es einen Tag vor der Geburt der Kinder. Sobald Sammy und Steffie auf der Welt waren, wurde mir klar, dass er nichts mehr von mir wissen wollte. Und ich beschloss, ihn zu vergessen.”
Sie verkrampfte die Hände ineinander.
„Wir beide mussten uns rund um die Uhr um die Kinder kümmern. Es war wie ein Gefängnis. Ich fühlte mich gefangen. Und ich bekam ständig Briefe von Mindy Patterson. Erinnerst du dich an Mindy? Wir waren zusammen auf der High School. Sie
Weitere Kostenlose Bücher