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Die Namenlose

Die Namenlose

Titel: Die Namenlose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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herabhängenden Ästen. Manche waren ihres Laubes fast völlig beraubt und standen starr wie bucklige Gnomen, die ein Bannfluch traf. Eine schmale Schneise führte zwischen Farnen und Sträuchern hindurch, die nicht nur den Waldrand säumten.
    Man kam überraschend schnell voran. Bis - ja, bis Burra plötzlich stehenblieb, sich bückte und einen starken Ast aufhob, auf den sie getreten war. Feucht vom Tau, schien er aber dennoch nicht sehr lange da gelegen zu haben. Die glatte Schnittfläche konnte eigentlich nur von einem Schwert oder einer scharfen Axt stammen.
    »Das ausgetretene Harz ist noch zäh und klebrig«, sagte Burra. »Kann es sein, daß welche deines Volkes auf der Insel weilen?«
    Der Okeazar, dem die Frage galt, verneinte.
    »Dann, bei allen Dämonen der Schattenzone, bewegen wir uns im Kreis«, fuhr die Kriegerin auf. Wutentbrannt schmetterte sie ihr Schwert gegen den nächsten Baum. Tief bohrte die Klinge sich in dessen Rinde hinein. »Nur dieser dreimal verfluchte Nebel ist schuld daran.«
    »Was machen wir nun?« fragte Gudun verwirrt.
    »Weitergehen!« brüllte Burra. »Was sonst?«
    »Ngore ist schon lange Zuflucht böser Geister«, kam es stockend aus dem Rachen des Okeazar. »Nur die Meermutter kann kommen und gehen, wie es ihr beliebt.«
    »Warum begleitest du uns dann, wenn du dieses elende Geschwätz für bare Münze nimmst?«
    »Lästere nicht, Amazone. Singara war mächtiger, als du es dir vorzustellen vermagst.«
    »Laß mich damit in Ruhe. Seit fünfhundert Jahren gibt es kein…«
    Burra verstummte. Wenige Schritte vor ihr schimmerte es bleich durch den Nebel. Von bösen Vorahnungen getrieben, hastete sie darauf zu.
    Ein Skelett, halb an einen mächtigen Stamm gelehnt, erwartete die Näherkommenden.
    »Die Knochen sind die eines Tritonen«, murmelte Gudun. »Wie lange mögen sie hier liegen?«
    »Seit letzter Nacht, vielleicht gar erst seit dem Morgen«, erwiderte Burra ungerührt.
    »Du meinst…«
    »Liefen wir nicht im Kreis, gingen wir nicht bereits diesen Weg, ohne den Toten zu sehen?« Burra bückte sich und hob einen ledernen Beutel auf. Als sie ihn öffnete, tropfte Wasser heraus. »Kelar…«, sagte sie nur.
    Der Okeazar hinter ihr stieß ein ersticktes Röcheln aus und wandte sich ab.
    »Innerhalb eines einzigen Tages…«, murmelte Gudun entsetzt. »Und nirgendwo finden sich die Spuren eines Kampfes. Nur Magie kann dies bewirkt haben.«
    Mythor zeigte auf das Skelett.
    »Legt man sich so hin, um zu sterben?« fragte er.
    »Du hast recht«, nickte Burra. »Es scheint als hätte Kelar uns etwas zeigen wollen. Seine Arme streckt er zur Seite…« Ein zweites Mal beugte sie sich über den Toten, aber als sie nun die Knochen berührte, zerfielen diese zu Staub, der sich schnell verflüchtigte. Die Dauer zweier Lidschläge später waren nur noch Kleidungsfetzen übrig.
    Was nun? fragte Guduns Blick.
    »Gehen wir«, bestimmte Burra. »In die Richtung, die Kelar uns gewiesen hat.«

6.
    Schon bald stießen sie auf eine kleine Quelle. Ein schmales Rinnsal folgte dem Verlauf des Geländes und plätscherte munter über glattgeschliffene Kiesel hinweg.
    Burra lauschte dem gleichmäßigen Klang.
    »Das muß es sein«, stellte sie schließlich fest. »Ich bin überzeugt davon, daß wir irgendwo in der Nähe die Zaemora finden werden.«
    Drohend wuchsen wuchtige Mauern aus dem Nebel auf - der alte Tempel mit dem Kultplatz, das Bauwerk zu einem Dom zusammenlaufend und von hohen, dunklen Torbögen gesäumt.
    Langsam lichtete sich der Dunst. Die Sicht reichte bereits etliche Dutzend Schritte weit. Dann fielen die ersten Sonnenstrahlen aus der Höhe herab, huschten irrlichternd über grasbestandene Hügel und sogen Feuchtigkeit aus dem Boden.
    Schließlich öffnete sich die Talsenke zur Gänze vor Burra und ihren Begleitern. Nichts behinderte mehr die Sicht. Im grellen Licht des Mittags ruhte die Zaemora mit halb aufgeblähter Ballonhülle zwischen Felsen und blühenden Pflanzen. Ein Bild des Friedens, das zum Bleiben einlud und vergessen ließ, daß unweit düstere Mächte wirkten.
    »Das Luftschiff ist unberührt«, stellte Burra fest. Erleichterung schwang in ihrer Stimme mit, hatte sie doch befürchtet, die Meermutter könnte inzwischen von dem Ballon Besitz ergriffen haben.
    »Bleibt dicht hinter mir«, sagte sie dann, ohne sich umzuwenden. »Wenn der Bann euch trifft, kann niemand mehr helfen.«
    Der Schatten der Gondel, zum Greifen nahe, fiel auf sie. Diese Insel zaemscher Magie verlieh

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