Die Nanowichte
Roten, der vom Inhalt eines Weinschlauchs geblieben war, zog sich die Stiefel an und torkelte, gefolgt von einem flirrenden Nanotrio, aus dem Zimmer.
Nachdem er durch zwei andere Zimmer gestampft war, verließ er das Haus durch die Hintertür. Er zuckte zusammen, als er ins Freie trat, die plötzliche Helligkeit blendete ihn. Er hatte sich die Sportvorausschau bei geschlossenen Vorhängen angesehen, weil schummriges Licht – so meinte er jedenfalls – den Blick in die Zukunft erleichterte. Blinzelnd torkelte er über den Hinterhof und wankte in die geräumige Scheune. Er sah sich um, sah, daß der Boden mit Stroh eingestreut war, und grinste. Es war nicht sonderlich schwer gewesen, die Hauseigentümer zu einer mehrwöchigen, kostenlosen Urlaubsreise nach Krillingen zu überreden … Schon erstaunlich, was zehntausend Silbergroschen bewirken konnten, wenn es darum ging, starrsinnige Hausbesitzer umzustimmen. Zum Schluß hatten sie sogar noch einen Sack Sonnenblumenkerne für Tiemecx gekauft. Obwohl es sie überrascht hatte, wie teuer Vogelfutter war: hundert Silbergroschen das Pfund …!
»Doch, doch«, murmelte er vor sich hin und tätschelte die Rohre, die Destillierkolonnen, die blitzende Spritzennadel des Hextirpators, »ist alles bestens gelaufen, absolut perfekt!« Er gluckste leise. »Aber jetzt: höchste Zeit, daß ich mich ums Vergnügen kümmere!«
Er schlug die Tür zu und verschloß sie mit einem gewaltigen Vorhängeschloß. Zielstrebig marschierte er den Hügel hinunter, auf dem seine maßlos überteuerte Behausung stand, ging immer der Nase nach durch finstere Gassen und Seitenstraßen und steuerte eines der übler beleumundeten Viertel von Guldenburg an, das Müllbachviertel.
Dieser Bezirk, der seinen Namen von jenem träge dahindümpelnden Wasserlauf hatte, dem ›Müllbach‹, dieses verkommene, vom Geruch faulender Algen erfüllte Viertel, wurde von allen Bürgern der Stadt (nasal schwerstbehinderte Bürger einmal ausgenommen) gemieden wie die Pest. Genauer gesagt: von fast allen.
Diejenigen, die sich (aus welchen Gründen auch immer) für die Boxerkrabben-Liga Guldenburg interessierten, zog es in Scharen dorthin. Der heutige Tag bildete da keine Ausnahme. Heute, zum Ende einer Saison, in der es eine ganze Reihe ebenso grandioser wie gnadenlos harter Wettkämpfe gegeben hatte (was den Züchtern enorme Probleme bezüglich Nachschub und Ersatz bescherte), heute sollten die letzten zehn 6-Zoll-Krabben zum allesentscheidenden Finale gegeneinander antreten, zum vernichtenden Endkampf, bei dem keine Regeln galten und bei dem alles erlaubt war – zum Kampf um die Siegestrophäe, um die ›Goldene Schere‹. Und heute sollten gewaltige Geldmengen den Besitzer wechseln.
Quintzi wußte genau, wie dieses Wechselspiel ausgehen und bei wem der größte Teil des Geldes landen würde. Fest umklammerte er die Liste, auf der er die Abfolge der Vernichtung notiert hatte – es konnte gar nicht schiefgehen.
Kaum war er um die ramponierte Ruine einer ausgedienten Scheune herumgerannt, da hörte er auch schon das aufgeregte Geschrei der Glücksspieler, die arglos ihr Geld auf Krustentiere setzten, die dem Untergang geweiht waren.
»Ich setze zehn Silbergroschen, daß ›Stichler‹ schon in den ersten fünf Minuten erledigt ist!« rief Quintzi einem kleinen Mann mit schütterem Haar zu und gestikulierte geheimnisvoll. Der Mitarbeiter des Buchmachers beachtete ihn nicht weiter, händigte ihm mechanisch einen Wettschein aus und wollte nach dem Geldstück greifen. Er kam nicht mehr dazu: Der Wettbürochef trat dazwischen und schlug Quintzi die Münze aus der Hand.
Quintzi blieb der Mund offenstehen, als er erkannte, daß es sich bei der staubbedeckten Gestalt, die vor ihm stand, um einen gewissen Doz Ysher handelte, den Besitzer des Wettforums Guldenburg, das inzwischen wegen irreparabler Bauschäden auf der Abrißliste stand.
»Wollen Sie uns jetzt vielleicht auch noch das Finale um die Goldene Schere von Guldenburg ruinieren?« fuhr ihn Doz Ysher an. »Mit welchem System wollen Sie’s denn heute versuchen, hä?«
Quintzi wich einen Schritt zurück. Ein Dutzend zorniger Wetter hatte sich zu ihm umgedreht und knurrte ihn böse an. Alle waren sie anwesend gewesen, als sich im Wettforum Guldenburg jener unerklärliche und grauenvolle Vorfall ereignet hatte, und jeder von ihnen wußte, daß es sich dabei keinesfalls um eine einfache und ehrliche Wette gehandelt haben konnte.
»Ich will doch lediglich eine
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