Die Nanowichte
wiederholte der Kommandant. »Diesen Knopf drücken!«
Und gerade als Merlot aus seiner Kabine spazierte, landete die Kommandantenfaust auf einem nichtsahnenden Knopf.
Im Korridor vor der Kabine fuhr eine dösende Gestalt aus dem Schlaf auf und war nach der rüden Applikation eines Elektroschocks am Hinterkopf auf der Stelle blitzwach. Mit einem Satz war sie auf den Beinen, setzte eine rot-weiß gestreifte Kappe auf, hängte sich die Warmhaltebox um und sauste um die Ecke.
Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig.
»Eine Kleinigkeit zur Stärkung, der Herr?« platzte sie heraus, drängte Merlot wieder in die Kabine und hielt ihm ein Stück Pizza unter die Nase.
»Nun ja, warum nicht?« Merlot errötete. »Genau das hatte ich eigentlich vor. Woher wußten Sie, daß …«
»Nur so eine Vermutung«, sagte die Platzanweiserin. »Mit der Pause kommt der Hunger bei den Leuten. Ein Stück oder vier?« fragte sie und ließ ihre Zähne aufblitzen.
Der Zauberer griff sich gierig eine ganze Handvoll und kramte in seinen Taschen.
»Ist schon in Ordnung«, strahlte ihn die Platzanweiserin an. »Alles inklusive.«
Plötzlich waren Beifallsrufe zu hören, der neue Spieler der Tempelritter kam auf das Spielfeld. Merlot zuckte neugierig mit dem Kopf, schenkte der Pizzabotin noch schnell ein nettes Lächeln und verschwand – lange Fäden geschmolzenen Mordzarella hinter sich herziehend – in seiner Kabine.
Nur wenige Sekunden später war er wieder der Faszination des Poloturniers erlegen.
»Knapp«, murrte der Kommandant. »Sehr knapp. Paß bloß auf, wenn Pause ist! Verstanden?«
Der Observationstechniker nickte erbärmlich und wandte sich wieder der Beobachtung des Zielobjekts zu. Ärgerlicherweise fing jetzt auch sein Magen zu knurren an.
Quintzi trieb die Rhinos die letzten Meter den Hügel über Guldenburg hinauf, preschte um die Rückseite der düsteren Hütte und ratterte im Galopp in die Scheune. Tiemecx hüpfte vom Fensterbrett und ließ sich auf dem Wagendach nieder. Beim Gedanken an Sonnenblumenkerne lief ihm das Wasser im Schnabel zusammen.
»Also. Wer möchte anfangen?« flötete Quintzi sein erstes Fuder Sträflinge an.
»Anfangen? Womit?« Phobis schluckte und starrte entgeistert auf den großen Eßtisch und die vier Stühle, die hastig in die Scheune geschafft worden war.
»Mittagessen«, lächelte Quintzi, so entwaffnend wie nur möglich.
»Mittagessen?« stotterte Hogshead ungläubig.
Mittagessen! dachte Tiemecx sehnsüchtig.
»Richtig. Alles schon vorbereitet.« Quintzi lächelte und klopfte auf den Tisch. »Nur eines fehlt noch: die Gäste. Äh … erlauben Sie, daß ich mich vorstelle: Professor Cohatl, beratendes Mitglied des Forschungsgremiums Verhörtechnik und Inquisitorische Effizienz«, log er brillant. Hemexc schüttelte entgeistert den Kopf.
»Ich verstehe das nicht«, stotterte Phobis und blickte sich unruhig in der Scheune um. »Vor wenigen Minuten hingen wir noch an einer Zellenwand und durften zusehen, wie sich zwei Wachmänner auf ein anständiges Verhör vorbereiten, und jetzt …«
»Ihre Frage zeigt mir, daß ich es mit einem Kriminellen von mehr als überdurchschnittlicher Intelligenz zu tun habe. Sie besitzen ein geradezu klassisches inquisitorisches Reaktionsvermögen, das alles andere als – auch wenn Sie selbst es wohl so nennen würden – ›normal‹ ist«, schmeichelte Quintzi, der in jahrelanger Übung die Kunst des frei improvisierten Bluffens gelernt hatte, die ihm half, immer das zu erreichen, was er erreichen wollte. Er wußte genau, daß er äußerst schlechte Chancen hatte, wenn er die drei Kriminellen mit Gewalt dazu bringen wollte, sich auf die vorgesehenen Stühle zu setzen. Also versuchte er es auf andere Art – auf eine Art, die weniger Körpereinsatz erforderte.
Phobis schüttelte den Kopf. »Wollen Sie damit sagen, daß ich eine ganze Menge Fragen stelle?«
»Korrekt. Genau das ist eine der klassischen Charaktereigenschaften jenes Typus Krimineller, der weniger gut auf die traditionellen, rauheren Methoden zur Gewinnung sachlich korrekter Antworten anspricht«, log Quintzi schamlos. »Meine wissenschaftliche Untersuchungsarbeit hat ergeben, daß jemand wie Sie, wird die Einvernahme bei einer guten Tasse Tee geführt, mehr Informationen liefert als bei einem Verhör auf glühenden Kohlen. Ich bin der festen Überzeugung, daß in einer angstfrei gestalteten Verhörsituation zwischen Inquisitor und Klient ein Verhältnis des gegenseitigen Vertrauens
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