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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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diesem Augenblick beschloß er, nicht mehr zu warten, bis er erfuhr, welche Abscheulichkeiten ihr Kerkermeister mit ihnen vorhatte. Was immer das auch sein mochte – Lebensfreude, Spaß oder ein vergnüglicher Trip ins Reich der Sinne würde es bestimmt nicht sein.
    Hogshead schlug die Zähne in die Ledermanschette um sein rechtes Handgelenk und biß und zerrte verzweifelt daran. Er wand und warf sich, und das Leder quietschte geräuschvoll zwischen den Schneidezähnen.
    »Was machen Sie denn da?« fragte Phobicus, der im Stuhl gegenüber saß. »Seien Sie bloß vorsichtig, so etwas ist gar nicht gut für die Zähne.«
    Hogshead hörte ihn nicht. Er strampelte und zappelte wie ein Hanswurst in einer Zwangsjacke, bis er nach zehn Minuten erschöpft im Stuhl zusammensank. Er schwitzte, hatte bohrende Zahnschmerzen und den Geschmack von totem Tier im Mund – mehr hatte er mit seinem Befreiungsversuch nicht erreicht.
    »Sehen Sie?« meldete sich Phobicus wieder. »Ein unnötiges Risiko. Entspannen Sie sich und lassen Sie alles ruhig auf sich zukommen. Wissen Sie denn nicht, daß Streß lebensgefährlich ist?«
    »Halten Sie den Mund!« brüllte Hogshead. Er keuchte wütend, starrte die Lederriemen böse an und wunderte sich, welche alchimistischen Gemeinheiten wohl das Gerbmittel für dieses Leder geliefert hatten. Er wunderte sich nur kurz, denn eigentlich wollte er es lieber gar nicht erst wissen. Sonst stellte sich schließlich noch heraus, daß die Gerüchte, wonach sehr häufig gepökelte Hundeeingeweide verwendet wurden, tatsächlich zutrafen. Scheußlich genug schmeckte das Zeug ja. Sein Magen drehte sich in einem Anfall heftiger Ablehnung besorgniserregend um.
    »Wenn wir angesichts der Gefahren des Lebens ruhig und gelassen bleiben, werden sie uns nichts anhaben. Beherzigen Sie, was der Selige Obskurantius uns gelehrt hat: Vermeiden ist besser als Erleiden.« Zum ersten Mal predigte Phobicus einem potentiellen Konvertiten, der ihm gefesselt zuhörte. »Betrachten Sie die Luft, die wir atmen, und vergleichen Sie sie mit sich selbst. Sie sehen einen führerlosen Schwerlastzug auf sich zurasen. Was macht nun die Luft? Sie fließt um ihn herum, vermeidet Verletzungen und kommt so der Unsterblichkeit einen kleinen Schritt näher – oder haben Sie schon einmal eine Wolke mit blauen Flecken gesehen? Sie dagegen nehmen den Kampf auf und handeln sich einen ganzen Haufen komplizierter Brüche und am Ende eine horrende Krankenhausrechnung ein. Was lehrt uns das?«
    »Immer die Handbremse fest anziehen, bevor man einen Lastzug irgendwo abstellt«, fauchte Hogshead scharfsinnig.
    »Aber nein! Darum geht es doch nicht. Sehen Sie, die Luft meidet die Gefahr …«
    »Jetzt hören Sie mal, Kollege! Vielleicht ist es ja Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß es im Augenblick etwas schwierig sein dürfte, irgend etwas vermeiden zu wollen.« Hogshead riß demonstrativ an seinen Handfesseln. »Oder glauben Sie etwa, Sie könnten mit diesen Stuhl auf dem Rücken den Hügel runterlaufen und Hilfe holen? Sind Sie so gut zu Fuß?«
    »Der sarkastische Witz ist die Krätze des Geistes, er schadet …«
    »Halten Sie den Mund und nehmen Sie endlich Vernunft an! Haben Sie etwa schon einmal ein Luftmolekül gesehen, das an einen Stuhl gefesselt war, he?«
    »Tja also …« Phobicus, der jetzt sichtlich verwirrt war, überlegte kurz. »Unter Ihren Handgelenken werden ganz bestimmt ein paar festsitzen.«
    »Genau. Also …«
    »Und sie sagen uns, daß immer nur diejenigen errettet werden, die wahrhaft glauben! Wer wahrhaft glaubt, meidet jede Gefahr.«
    »Was? Wollen Sie wirklich behaupten, die Luft sei gläubig?«
    »Nun ja, ich …«, stotterte Phobicus aufgeregt. »Das war natürlich nur eine Metapher. Werden Sie jetzt bitte nicht pedantisch!«
    »Ja gut, aber ich habe einfach keine Lust auf tiefschürfende theologische Diskussionen. Ich will nur raus hier, bevor dieser Wahnsinnige wieder zurückkommt.«
    »Das wird er nicht«, sagte Phobicus überraschend knapp und nüchtern. »Kein Geiselnehmer tut das.«
    »Was?« schrie Hogshead.
    »Ist doch klar. Er hat uns gezeigt, wer der Stärkere ist, und hat uns mit einer sehr wirksamen Demonstration seiner Macht eingeschüchtert und entmutigt. Und jetzt wird er die Verhandlungen aufnehmen und wird mit … äh … mit … äh …«
    »Genau. Mit wem verhandeln? Wer soll denn für uns Lösegeld zahlen? Wir sind keine Geiseln. Und außerdem: Was haben wir denn schon gemeinsam?«
    Phobicus hätte

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